Als Kind dachte ich immer: Das Christkind ist katholisch. Zu uns nach Hause kam unbemerkt der Weihnachtsmann. Wir lebten im katholischen Umfeld eines Eifeldörfchens und waren mit zwei anderen zugezogenen Familien die evangelische Minderheit. Der Weihnachtsmann zauberte immer heimlich die Geschenke ins Wohnzimmer, aber niemand von uns dachte jemals daran, ihn sehen zu können. Wie er aussah, wusste ich nicht. Es war – so wie ich mich erinnere – auch nie interessant für mich. In der protestantischen Pfarrers-Familie meines Mannes kam aber das Christkind. Da mussten wir uns entscheiden. Und wir haben uns für das Christkind entschieden – mir fehlten irgendwie die Argumente für den Weihnachtsmann. Lieber hätte ich sowieso den „Geschenkebringer“ weggelassen. Aber die Kinder fanden es schön. Noch heute gehört bei uns zu Hause das Glöckchen zum Heiligabend-Familien-Ritual.
Als die Reformation das Christkind – und als Fest des Schenkens Weihnachten – eingeführt hatte, war es also erst einmal evangelisch. Den katholischen Kindern brachte der Nikolaus am 6. Dezember die Geschenke. Im Laufe des 19. Jahrhunderts kann man dann feststellen, dass der überwiegend katholische Süden und Westen Deutschlands die Geschenke vom Christkind bekam, während im eher evangelische Norden und Osten eine neue Gestalt als Geschenkebringer auftrat: der Weihnachtsmann. Wie sich dieser Tausch der Figuren entwickelt hat, ist nicht ganz geklärt. 1835 jedenfalls komponierte August Heinrich Hoffmann von Fallersleben sein heute noch bekanntes Weihnachtslied "Morgen kommt der Weihnachtsmann“. In dieser Figur mischen sich die Traditionen der Weihnachtszwerge aus Skandinavien, des Nikolauses und des Väterchens Frost aus Russland. Populär wurde der Weihnachtsmann in den Vereinigten Staaten durch die Figur des "Santa Claus" und eine große Werbekampagne von Coca Cola im Jahr 1932. So kehrte der Weihnachtsmann mit rotem Mantel samt Kapuze und weißem Pelzbesatz als Symbolfigur wieder nach Europa zurück. Und schon lange vor Weihnachten bevölkern heute wahre Horden von roten Kapuzenmantel- und Bartträgern die Auslagen – nicht zuletzt aus Schokolade und in bunter Folie. Nikolaus oder Weihnachtsmann – das ist hier die Frage.
Wer christliche Traditionen bewahren will, hat mit dem Nikolaus als Bischof (Beispiel für Nächstenliebe und Großzügigkeit gegenüber denen in Not) und mit dem Christkind (erinnert an Jesus, das Gottesgeschenk) zwei inhaltlich gut gefüllte Geschenke-Bringer zur Auswahl. Der Weihnachtsmann, der uns heute ab November in rotem Mantel und Mütze überall begegnet, ist in größter Nähe zu Wirtschaft und Konsum zu verorten. Inhaltlich hat er nichts zu bieten – schon gar nicht als Vorbild oder Träger einer sinnvollen Botschaft. Er verkauft sich halt gut. Das ist alles.
Urd Rust