Schlummernde Schätze zu heben

Daniel Fromme archiviert in der Landesbibliothekszentrale das kirchenmusikalische Gedächtnis Speyers

An der Geschichte der Kirchenmusik interessiert: Daniel Fromme. Foto: Landry

Wer Daniel Fromme durch das Labyrinth der Flure in der Landesbibliothekszentrale bis zu seinem Dienstzimmer folgt, kann unterwegs schon einmal einen Blick ins „Allerheiligste“ riskieren; ist eingeladen, den gut gekühlten Archivraum mit den mächtigen, weit über mannshohen Schieberegisterschränken in Augenschein zu nehmen, welche die mehr als 120000 Materialien des historischen Musikalienbestands beherbergen.

Wertvolle Autografe, Tonträger – rund 16000, teils bis in die Ära Schellack zurückreichend – und ein Riesenkontingent an Notensammlungen unterschiedlichster Herkunft und teils sehr alt. Die überwiegende Zahl der Musikmaterialien stammt, so erläutert Fromme, aus Privatnachlässen. Sie werden hier zunächst gesichtet, qualitativ eingeordnet, wenn nötig restauriert; und dann in den Bestand integriert, chronologisch nach dem Datum ihrer Übernahme einsortiert.

Aber es gibt auch Bestände aus gesamtgesellschaftlichem Kontext. Hier nimmt die Kirchenmusik, speziell die in Speyer verortete, eine Sonderstellung ein; sie prunkt gerade im 19. Jahrhundert mit klangvollen Namen wie Eduard Rottmanner (1809 bis 1843), Johann Baptist Benz (1807 bis 1880) und nicht zuletzt Jakob Heinrich Lützel (1823 bis 1899), dessen Nachlass der umfangreichste in diesem Segment ist.

In jüngster Zeit waren es auch Dauerleihgaben, die die Archivbestände der Landesbibliothekszentrale gut erweiterten. 1989 etwa war der gesamte Notenbestand der Dreifaltigkeitskirche auf diesem Wege ins Archiv gelangt. Im Reformationsjubeljahr 2017, zum 300. Geburtstag der bedeutenden lutherischen Kirche in der Pfalz, hatte das Landesbibliothekszentrum die teils restaurierten Dokumente und Materialien, ergänzt durch Leihgaben, in einer kleinen, aber feinen Ausstellung präsentiert.

300 Jahre Musik und Theologie – Daniel Fromme als Kurator der Schau und Leiter der Abteilung Musik in der Landesbibliothekszentrale hatte akkurat chronologisch geordnet und anschaulich kommentiert, was den Besuchern aus den Vitrinen an spannenden Zeitdokumenten entgegensah; hatte gleichsam ein großformatiges Gemälde entworfen vom reichen kirchenmusikalischen Leben an der Dreifaltigkeitskirche. Namen, Ereignisse, Episoden, Liedgut. Notenautografe aus der „Gründerzeit“ gibt es nur spärlich. Dafür existieren Zeitdokumente, die belegen, dass die Kantoren jeden Sonntag mit einer neuen Kantate aufzuwarten hatten, die Ausführung indes den Schüler-Lehrer-Chören der „Reichsstädtischen Ratsschule“ oblag, des heutigen Gymnasiums am Kaiserdom. Die 100-Jahr-Feier der Kirche vereinte 1817 bereits Chöre „aller Konfessionen“, wenig später begann die Ära der großen Laienchöre mit zeitweise 160 Sängern – auch an der Dreifaltigkeitskirche. Lehrer wurden zu Kantoren-Organisten.

Noch immer sei die Sichtung nicht ganz abgeschlossen, sagt Fromme. Im Gegensatz zum musikalischen Archiv des Domchors, das der Bibliothek 1986 übergeben wurde und bis auf wenige Restaurierungsmaßnahmen archiviert sei. Es enthält rund 500 Titel und Handschriften des Chors zwischen 1830 und 1880. Abgesehen vom musikwissenschaftlichen Ertrag spiegeln beide Bestände auch wertvolle Hinweise auf gesellschaftliche Realitäten. Fast durchgängig rekrutierte sich das Personal, ob im evangelischen Kantorat oder bei den Domkantoren, aus dem pädagogischen Personal der Speyerer Schulen. Und beiderseits war die Neukomposition von Kantaten oder – im katholischen Bereich – Messen für den Sonntagsgottesdienst gang und gäbe.

Während die Domkantoren diese Praxis bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ungebrochen fortführten, setzte auf evangelischer Seite der spätere Landeskirchenmusikdirektor Adolf Graf eine Renaissance der Werke von Schütz, Pachelbel und Buxtehude in Gang. Und auch das belegen die Erinnerungsdokumente der Landesbibliothek: Es gab mutige Aufführungen naziverfemter Komponisten wie Heinrich Kaminski und Hugo Distler durch Graf und den Speyerer Pfarrer Imo Schäfer, der ebenfalls als Komponist und Organist mit Zeugnissen hinterlegt ist. Gertie Pohlit

Erfolgreicher Herausgeber und Komponist für die Kirchenchöre

Auf den Spuren von Jakob Heinrich Lützel – Um das Evangelische Gesangbuch hat er sich verdient gemacht – Bis zu 87 Vokalgruppen geleitet

Wer den Spuren von Jakob Heinrich Lützel folgen möchte, ist eingeladen zur Rundreise zwischen Westrich und Kurpfalz. 1823 im vorderpfälzischen Iggelheim geboren und zur Schule gegangen, wurde er im Lehrerseminar zu Kaiserslautern auf die berufliche Bahn gelenkt und mit einer ersten Lehrerstelle betraut in Ludwigshafen-Edigheim, von wo aus er regelmäßig Richtung Frankenthal und Mannheim zum privaten Orgelunterricht aufbrach. 1845 schließlich bestellte man den Junglehrer zum Dienst an die „Mädchen-Vorbereitungsschule“, dem heutigen Hofenfels-Gymnasium in Zweibrücken.

Dort blieb er bis zu seinem Tod im Jahr 1899 – als einer, der die Chorlandschaft der Pfalz aufgeforstet, durchorganisiert und nicht zuletzt als Herausgeber, Bearbeiter und Komponist einschlägiger Literatur aufgemischt hat wie kein Zweiter vor oder nach ihm. 1852 bereits gründete er in seiner neuen Heimatstadt den ersten evangelischen Kirchenchor; ein Beispiel, das an anderen Orten Schule machte und 1860 in der Gründung des Pfälzischen Sängerbunds gipfelte.

Da Lützel stets kränkelte, schied er 1860 bereits aus dem aktiven Schuldienst aus. Die obere Schulbehörde indes bestellte ihn, der auch die dem Pflichtkanon des Lehramts zugehörigen Orgeldienste stets verrichtet hatte, zum Orgelrevisor. Und als „Hauptvereinsmusikdirector“ soll er zeitweise bis zu 87 Vokalgruppen mit rund 4000 Sängern geleitet haben. 60-jährig schließlich ehrte ihn die oberste Kulturbehörde in München mit dem Titel „Königlicher Professor der Musik“.

Als Herausgeber zahlreicher Liedsammlungen für Kirchenchöre sowie für den Schulunterricht, teils mit Bearbeitungen aus seiner Feder, didaktischen Werken für den Orgelunterricht und Chorkompositionen für den gottesdienstlichen Gebrauch war er bis in die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts vielfach präsent. Sein Entwurf für ein evangelisches Gesangbuch nahm zwar erst posthum, 1905, endgültige Gestalt an, blieb aber bis 1951 in Gebrauch. Ein Vorschlag gar zur Neuordnung der Gottesdienstagende, 1885 der Synode unterbreitet, hält sich mit geringfügigen Anpassungen bis zum heutigen Tage.

Und schließlich: Auch die Gedächtniskirche Speyer verdankt ihr musikalisches Monument, die große Orgel auf der Mittelempore, letztlich dem vehementen Einsatz Lützels, der ihre Indienstnahme leider nicht mehr erlebte. Ein Kind von Traurigkeit sei er nicht gewesen, so heißt es. In seinem kompositorischen Nachlass finden sich auch Nettigkeiten wie die „Schwarzenacker-Walzer“ – „für das Pianoforte componirt und den lebensfrohen Herren und Damen Zweibrückens gewidmet“.

Während die Iggelheimer ihren großen Sohn – etwas verschnupft durch seinen Weggang – erst mit Verspätung im örtlichen Gedächtnis verankerten, machten die Zweibrücker ihn schon zu seinem 70. Geburtstag zum Ehrenbürger. Neben der Lützelstraße gibt es im Rosengarten eine herrlich duftende Rose, die stolz seinen Namen trägt. gpo

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