Ein Lied geht um die Welt

Vor 200 Jahren erklingt in einer kleinen Kirche in Österreich zum ersten Mal „Stille Nacht, heilige Nacht“

Auf einem Fenster in der Oberndorfer "Stille-Nacht-Kapelle": Josepf Mohr. Foto:wiki

„Stille Nacht, heilige Nacht“, heißt es auf der Feldpostkarte aus dem Ersten Weltkrieg, die im Museum Schwetzingen zu sehen ist. Foto: Museum

Gedenkkarte von 1918. Foto: Thomsen-Fürst

Franz Xaver Gruber. Foto: pv

Der junge Hilfsgeistliche Joseph Franz Mohr war durchaus kein Glückskind. Unehelich als Sohn eines Militaristen 1792 im Salzburger Armenhaus zur Welt gekommen, wuchs er in ärmlichsten Verhältnissen auf; das Lungenleiden, an dem er 56-jährig starb, war eine Spätfolge der kalt-feuchten Wohnverhältnisse zu Kindertagen. Immerhin hatte er es dank fürsorglicher Lehrer ins Theologiestudium geschafft. Nach der Priesterweihe zog man ihn vor allem zu Hilfsdiensten heran, ab 1817 in Oberndorf bei Salzburg. Dort gab es Beschwerden. Er sei liederlich, zu wenig ehrerbietig, komme seinen Pflichten nicht hinreichend nach, besuche Kneipen, sei beim Singen zweideutigen Liedguts erwischt worden. Und er dichte. Überaus verdächtig.

Dass das sechs Verse umfassende Gedicht, das der 24-Jährige 1816 während seines Interims in Mariapfarr verfasst hatte, einmal den Globus erobern würde – wer konnte das damals ahnen? Zumal es noch zwei Jahre dauerte, bis Mohr den Lehrer und Kantor Franz Xaver Gruber bat, für sein Gedicht eine Melodie zu erfinden.

Auch Gruber stammte aus einfachen Verhältnissen. Seine Lebensumstände indes sind wesentlich detaillierter überliefert als die von Mohr. In Gefolgschaft seines Vaters hätte der 1787 Geborene eigentlich Leineweber werden sollen. Sein musikalisches Talent indes prädestinierte ihn für eine Lehrerlaufbahn. Lehrer, Kantor, Organist – das war damals eine symbiotische Ämtereinheit, die stets in Personalunion bedient wurde. 22 Jahre wirkte Gruber allein in Arnsdorf und war als Hilfsorganist an diversen Orgeln des Oberndorfer Bezirks unterwegs.

Zu Weihnachten 1818 freilich, als das Lied erstmals erklang, schwieg die Orgel in der Schifferkirche St. Nikola. Vermutlich war sie defekt oder im Kälteschock. Das tat dem Vortrag von Mohr und Gruber, der die schlichte, im Sechsachteltakt einer „Siciliana“ gesetzte Weise zweistimmig notiert hatte, keinen Abbruch. Im Gegenteil: zwei schöne Männerstimmen, Bass und Tenor, dazu eine Gitarrenbegleitung – das entführte auf ganz unmittelbare Weise in die Intimität des Stalls zu Bethlehem. Zwei Urkunden geben Aufschluss über die Entstehungsgeschichte; eine ist das älteste erhaltene Autograf Mohrs von 1823, das erst im Jahr 1995 in Salzburg auftauchte. Beide Dokumente bestätigen die jeweilige Autorenschaft.

Es waren wie gesagt sechs Strophen, die Mohr gedichtet hatte. Dass wir heute nur noch die Verse eins, zwei und sechs singen, entspricht volkstümlicher Praxis, ist das, was sich leicht auswendig lernen lässt. Aber gerade die drei anderen Strophen sind es, in denen Mohr reine Theologie kündet. Dort ist von der Menschwerdung Gottes die Rede, von der Aufkündigung des „alten Bunds“ und der weltumspannenden Gnade der göttlichen Geburt.

Das Lied machte Furore, gleich am ersten Abend. Und wurde weitergetragen über die Gemeinden des Salzburger Lands, durch Folkloregruppen, die den Verkauf von Bett- und Leibwäsche mit österreichischen Volksweisen auf Märkten forcierten. Das führte die Geschwister Strasser aus Tirol bis nach Leipzig. Da erklang „Stille Nacht, heilige Nacht“ 1832 als Pauseneinlage in der Abendvorstellung des Gewandhauses. Die Rainer-Familie gar schaffte es mit ihren Tourneen quer durch Deutschland, Frankreich, England und Amerika. Und entzückte selbst den russischen Zaren Alexander I. und Kaiser Franz I. Gruber hat in der Folgezeit unzählige Bearbeitungen erstellt. So schrieb er einen vierstimmigen Chorsatz, richtete solistische Teile ein, Instrumental- und Orgelstimmen, die auf ganz konkrete Aufführungen verweisen. Etwa auf Heiligabend in Hallein, wo er ab 1833 als Stadtpfarr-Chorregent wirkte.

Das Lied landete in fast allen christlichen Gesangbüchern und wurde in rund 160 Sprachen übersetzt; fand musikalische Verarbeitung in Werken unter anderem von Max Reger und Krzysztof Penderecki, in der Popmusik und als Filmstoff. Und erklingt im Gottesdienst nur an einem einzigen Tag des Jahres: dem Heiligen Abend. Gertie Pohlit

Ausstellung zum Stück im Museum der Stadt Schwetzingen, Marstall­stra­ße 51, bis 6. Januar.

Frieden als Botschaft zum Geburtstag des Weihnachtslieds

Singspiel zum Jubiläum von „Stille Nacht“ in der Karlskirche Zweibrücken – Schauplätze von Oberndorf über New York bis hin nach Ypern

Eine „Große Geschichte von Not und Hilfe, von Krieg und Frieden und von der letztgültigen Hoffnung“ – so untertitelt der Zweibrücker Pfarrer Günter Sifft sein Singspiel, das er zum 200. Geburtstag des wohl berühmtesten Weihnachtslieds geschaffen hat. „Stille Nacht – 200 Jahre ein Lied für den Frieden“ ist das Stück überschrieben, das seine Premiere punktgenau am 24. Dezember, im Familiengottesdienst um 16 Uhr in der Karlskirche erlebt.

Beim Nacherzählen der Genese des Lieds hat sich Sifft nicht aufgehalten; sein Entwurf überbrückt Epochen und Ländergrenzen. Fünf Szenen nehmen die Rezeptionsgeschichte der Friedenshymne in den Fokus. Als Verbindungsglied leitet ein Friedensengel in Begleitung seiner „Entourage“, zweier Kinderengelchen, durch Räume und Zeiten.

Nach Oberndorf geht die Reise, da, wo alles begann. Not und Elend herrschen nach den Napoleonischen Kriegen, Sommern ohne Ernten und den „Vulkanischen Wintern“ 1816 und 1817. Bettler und Witwe treten auf, hungernde Kinder. Die kraftvolle „stille, heilige Nacht“ zu Weihnachten 1818 schließlich kündet endlich wieder tröstlich von Frieden und Hoffnung.

Ein anderes Bild zeigt das New York der 1830er Jahre. Da feiert die Hymne aus dem Salzburger Land wahre Triumphe, nachdem die Geschwister Rainer aus Fügen als eine Art früher Kelly-Familie das Lied etabliert haben. Wie zuvor schon in Europa, vor Königen und Kaisern, in Kathedralen und Konzertsälen. Ypern wiederum ist ein Ort auf der Landkarte des Ersten Weltkriegs. Weihnachten 1914, Briten und Deutsche. Erzfeinde. Aber das Lied, dazu gibt es verbriefte Augenzeugenberichte, hat sie zusammengeführt. An diesem einen, dem Heiligen Abend. Hat sie gemeinsam beten, singen und am Ende sogar Fußball spielen lassen. Frieden in Ehrfurcht vor der Krippe.

Im letzten Bild bewegt sich das Bühnenpersonal zwischen die Zuschauer. „Zünd’ ein Licht an“, lautet die emotional in Musik gesetzte Aufforderung. Und natürlich wird auch „Stille Nacht, heilige Nacht“ mit Akteuren, Chor, Instrumenten und der ganzen Gemeinde den fulminanten Schlussakkord bilden.

Günter Sifft hat in Reim und Prosa gedichtet, sich aus dem reichen Fundus an klassischer Liedliteratur ebenso wie volkstümlichen Weisen oder Anleihen aus der Popszene bedient. Auch ein bekanntes hebräisches Lied hat sein melodisches Gerüst geliehen. Und er hat eine stattliche Truppe an jungem Personal zwischen sechs und 15 Jahren, dazu Erwachsene, Mitglieder des Taizéchors sowie Instrumentalisten für das Projekt begeistert, die als Solisten, Statisten, Background-Chor sowie Bühnen- und Kostümbildner seit November fleißig proben – ein Stück lebendiger Kirchengeschichte, das auch jenseits des Jubiläumsanlasses zur Wiederaufnahme einlädt. gpo

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