Die Dokumentation: Gott braucht den Teufel nicht

Antworten auf die Frage nach dem Bösen unter Bedingungen des Monotheismus • von Paul Metzger

Zum Teufel: Nach christlicher Überzeugung dürfte es das Böse nicht geben. Foto: epd

Für evangelikal-biblizistische Prediger in Nord- und Südamerika ist klar: Covid-19 ist eine Strafe Gottes. Man kann diese Krankheit deshalb besiegen, wenn man sie austreibt wie einen Dämon. Denn letztlich steckt der Teufel hinter der Krankheit. Besiegt man ihn, besiegt man sie.

In unseren mehr oder minder aufgeklärten Breiten ist die Frage komplizierter. Es beginnt schon mit der Frage, ob eine Krankheit überhaupt eine Strafe Gottes sein kann. Lässt sich dies mit unserem Gottesbild vereinbaren? Und es geht weiter mit der moralischen Betrachtung, ob eine Krankheit „böse“ sein kann. Setzt der Begriff „böse“ nicht bereits voraus, dass jemand dafür verantwortlich sein muss? Ist deshalb eine Krankheit an sich „a-moralisch“, weder gut noch böse? Aber wie gehen wir dann mit einer Krankheit um? Und wie mit der Frage nach dem Bösen? Gibt es das Böse überhaupt? Oder hat William Shakespeare recht, wenn er seinen Hamlet sagen lässt: „An sich ist nichts weder gut noch böse; das Denken macht es erst dazu.“

Dieses deutet auf den Zusammenhang von Erleben und Deuten hin. Alles, was wir erleben, deuten wir – ob bewusst oder unbewusst. Wir wandeln unser Erleben auf diese Weise in Erfahrung um. Wir beurteilen und kategorisieren das, was wir erleben. Letztlich qualifizieren wir damit, was gut und böse ist.

Böse ist demnach das, was unser Leben schädigt. Der Ast, der mich im Wald erschlägt, weil er gerade in dem Moment vom Baum fällt, in dem ich unter ihm spazieren gehe, ist für mich böse. Weil er mich erschlägt. Aber es gibt hier niemanden, den man dafür verantwortlich machen kann (außer vielleicht den Förster?). Trotzdem erleide ich eine massive Schädigung meiner Existenz. Also ist es für mich böse. Für einen anderen Menschen ist dieses Ereignis vollkommen irrelevant.

Wenn wir also nach dem Bösen fragen, müssen wir immer konkret sagen, was für wen warum böse ist. Die Frage nach dem Bösen ist speziell in einem Glaubenshorizont, der nur einen guten Gott zulässt, schwierig zu beantworten, vielleicht letztlich gar nicht zu lösen. Wenn der gute Gott keine anderen Götter neben sich duldet, kann man kaum jemanden für das Böse verantwortlich machen. Es bleibt einfach nicht mehr viel Auswahl.

In den antiken Religionen war das kein Problem. In der alten Religion Persiens, dem Zoroastrismus, kämpfen der gute Gott Ohrmazd, der eine gute Welt geschaffen hat, und der böse Gott Ahriman, der die Welt mit Chaos überziehen will, gegeneinander. Die Welt kann damit überzeugend gedeutet und das Böse gut platziert werden. In dem Moment allerdings, in dem sich die Überzeugung durchsetzt, dass es nur einen Gott gibt, stellt sich die Frage neu und deutlich beunruhigender.

Diejenigen, die an einen guten Gott glauben, brauchen eine Erklärung für das Böse, für die grundlegende Erfahrung, dass das Leben auf vielfältige Weise geschädigt werden kann. Grundsätzlich lassen sich unter den Bedingungen des Monotheismus drei Antworten auf die Frage nach dem Bösen geben.

Erstens kann Gott selbst für das Böse verantwortlich gemacht werden. Das ist über weite Strecken die Antwort des Alten Testaments. Vor allem in der Prophetie wird deshalb das Böse zuweilen als pädagogische Maßnahme Gottes verstanden. Das Böse beruht also auf der eigenen Schuld. Israel hat seine Erwählung nicht bewahrt und den Bund gebrochen. Das ist die Ursache. Als Konsequenz werden sie bestraft: „Allein um euch habe ich mich gekümmert von allen Sippen des Erdbodens. Darum werde ich an euch all eure Verschuldungen heimsuchen“ (Amos 3, 2). Gott ist also schuld am Bösen. Aber ist es dann noch wirklich böse? Deutlich hält dagegen Jesaja 45, 6–7 fest: „Ich bin der Herr, und sonst keiner mehr, der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe Unheil. Ich bin der Herr, der dies alles tut.“ Gott schafft demnach das Böse – in aller Konsequenz.

Das Problem an dieser – theologisch gesehen einzig richtigen – Antwort ist, dass sie nur sehr schwer auszuhalten ist. Wie soll man an einen guten Gott glauben, der auch das Böse verursacht oder zumindest zulässt? Das ist der Kerngedanke jeglichen Nachdenkens über die Frage, wie ein guter Gott das Böse zulassen kann. Die einzig mögliche Antwort ist schlicht: Wir wissen es nicht. Die Antwort auf diese Frage liegt in der Souveränität Gottes verborgen. Dass Menschen Gott nicht verstehen können, wird mehrfach im Alten Testament betont. Besonders deutlich bei Jesaja: „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, Spruch des Herrn, denn so hoch der Himmel über der Erde ist, so viel höher sind meine Wege als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken“ (Jesaja 55, 8–9). Damit kann man sich aber vor allem in existenziell schwierigen Lagen nur unter großen Zumutungen zufriedengeben. Deshalb geht die Suche nach einer Antwort weiter.

Die zweite Möglichkeit, die Existenz des Bösen zu erklären, blickt auf den Sündenfall. Eigentlich ist Gottes Schöpfung durch und durch gut und gelungen, aber der Mensch ist das Problem. Weil der Mensch sich dem Willen Gottes widersetzt, setzt er das Böse in Gang. Eine Schrift aus dem 1. Jahrhundert, das sogenannte 4. Buch Esra, klagt deshalb den Menschen an: „Ach, Adam, was hast du getan?“

Diese Antwort ist auch unbefriedigend: Erstens, weil sie logische Schwächen hat. Wenn Gott alles gut erschaffen hat, warum kann sich der Mensch überhaupt auflehnen oder warum tut er es? Die Schwäche einer Ätiologie, also einer Erzählung, die erklären muss, warum etwas so geworden ist, wie es nun mal jetzt ist, schlägt hier voll durch. Zweitens ist es auch menschlich nicht angenehm, wenn man die Schuld immer nur bei sich suchen muss.

Deshalb gibt es noch eine dritte Antwort: Der Teufel ist an allem schuld. „Wer die Sünde tut, stammt vom Teufel; denn der Teufel sündigt von Anfang an.“ So weiß es der 1. Johannesbrief (3, 8). Der Teufel ist der, der von Anfang an schuld ist. Aber warum gibt es in der guten Schöpfung einen Teufel? Und ist der Teufel wirklich ein Gegenspieler Gottes? Auf einer Stufe mit Gott selbst? Der Monotheismus lässt dies nicht zu. Und so erscheint auch die dritte Antwort wie eine Verlegenheitslösung. Aber eine, mit der man gut leben kann. Nicht Gott, nicht der Mensch, der Teufel ist schuld. Endlich hat man eine Erklärung dafür gefunden, warum es den Teufel geben muss. Der Teufel ist das Böse in und als Person.

Nun haben wir bereits gesehen, dass es das Böse an sich nicht gibt. Das Böse ist eine Kategorie der Deutung. Es gibt immer Menschen, die das, was sie erleben, als „böse“ deuten. Das Böse hat demnach keine eigene Wirklichkeit, sondern existiert nur als Deutung des Erlebens. Von daher kann es den „Bösen“ nicht geben. Wenn es das Böse an sich nicht gibt, gibt es auch keinen Teufel. Er ist also eine Antwort auf das Sinnproblem, das mit dem Bösen einhergeht. Der Teufel liefert die Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Bösen und kann ihm mithilfe verschiedener Denkfiguren sogar Sinn verleihen. Allerdings liegt hier die Gefahr, dass man versucht sein könnte, prinzipiell auch im Bösen einen guten Sinn zu finden. Das widerspricht aber der Erfahrung des Bösen. Eine Pädagogik des Bösen darf es deshalb nicht geben.

Überhaupt muss der Gefahr begegnet werden, dass der Teufel sich selbstständig macht, personifiziert gedacht wird und ihm eine eigenständige Wirkung zuerkannt wird. Dann kann er als Figur gebraucht werden, die dem Menschen droht und ihn ängstigt. Das ist über viele Jahre Kirchengeschichte geschehen.

Eigentlich dürfte es nach christlicher Überzeugung auch das Böse nicht geben, weil Gott nach der Auskunft der Jesus-Erzählung die Liebe selbst ist. Dass trotzdem als „böse“ erlebte Dinge geschehen, ist demnach eine paradoxe Erfahrung. Da Gott in Kreuz und Auferstehung Jesu den Tod überwunden und so gezeigt hat, dass er ein Gott des Lebens ist, lässt sich ersehen, dass das, was das Leben schädigt, bereits überwunden sein sollte.

Die Offenbarung des Johannes drückt dies sehr feinsinnig aus, indem sie sagt, dass der Teufel im Himmel bereits besiegt ist, dass er aber auf der Erde noch wütet (Apokalypse 12, 10–12). Er ist bereits besiegt, wartet aber noch auf seine endgültige Entmachtung. Was hier mythologisch ausgedrückt ist, besagt lediglich, dass das, was der Mensch als böse erfährt, bei Gott überwunden ist – das Problem ist nur, dass dies eben nicht unbedingt erfahren werden kann. Gott braucht also keinen Teufel. Aber wir brauchen den Teufel, weil er sich uns anbietet, um das Böse zu erklären und erträglich zu machen. Wir brauchen deshalb den Teufel – bei Gott gibt es ihn gar nicht.

Dr. Paul Metzger ist Pfarrer in Ludwigshafen-Pfingstweide und lehrt Neues Testament und Konfessionskunde an der Universität Koblenz-Landau. Soeben ist sein Buch „Zum Teufel – Die Frage nach dem Bösen“ im Verlag Narr Francke Attempto erschienen.

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