Als Reisebegleiter dabei im langen Zug des Lebens

Evangelische Kirchen in Ludwigshafen und Mannheim zeigen auf dem Maimarkt Präsenz – Messebesucher nutzen Gelegenheit zum Gespräch

Laden zur Pause ein: Zugabteile auf dem Maimarkt-Messestand der evangelischen Kirchen in Ludwigshafen und Mannheim. Foto: Kunz

Der Lebenszug fährt um 0.15 Uhr von der Taufe ab und erreicht um 3.39 Uhr die Konfirmation, bevor er über Beruf und Familie um 17.19 Uhr den Ruhestand erreicht. Die Abfahrtstafel im Messestand der evangelischen Kirchen in Ludwigshafen und Mannheim in Halle 25 des Maimarkts hat sich Götz Geburek, Öffentlichkeitsbeauftragter des Kirchenbezirks Ludwigshafen, ausgedacht. Die Kirche will sich als Lebens-Reisebegleiter präsentieren.

In drei Zugabteilen können Besucher Platz nehmen – auf Holzbänken, über sich in der Gepäckablage alte Koffer, in der Hand einen Zeitungshalter mit dem „KIRCHENBOTEN“. Die verschwommene Landschaft hinter den unechten Fenstern signalisiert: Die Fahrt ist in vollem Gang; wer am Bahnhof aussteigt, bekommt am Serviceschalter einen Kaffee und kann einen Blick in den Inhalt des großen Schrankkoffers werfen: ein blauer Hochzeitsanzug und ein weißes Brautkleid, Kerzen, ein Holzkreuz sowie ein Taufbecher.

„Die Kirche wird sehr stark über Kasualien wahrgenommen“, sagt Geburek, der an vielen der elf Messetage vor Ort ist und einiges mitgebracht hat aus seinem Wohnort Maudach. Neben dem Hochzeitsoutfit – „das haben meine Frau und ich getragen“ – tuckert eine Modelleisenbahn über den Köpfen der Messebesucher, ein großer Hauptsignalflügel zieht die Blicke auf sich. Mit Erfolg: Die Zugabteile sind gut besetzt, die Kaffeemaschine läuft, Pulver musste bereits nachbeordert werden.

„Wir sind hier genau am richtigen Ort“, sagt Geburek zum Maimarkt. Die Schwelle zum Stand, zur Kirche, sei im wahrsten Sinne des Wortes nicht vorhanden, der Weg für viele anders als bei Gemeindezentrum oder Kirchengebäude leichter, eine Chance für die Standbetreiber. 20000 Euro lässt sich das Jahr für Jahr die badische Landeskirche kosten, rund 5000 Euro zahlt die pfälzische Landeskirche dazu. Neben Geburek sind gelegentlich Dekanin Barbara Kohlstruck, die Ludwigshafener Stadtjugendpfarrerin Kerstin Bartels und ihre Ludwigshafener Kollegin Barbara Schipper vor Ort. Dazu kommen die Kollegen aus Baden. Diakon Andreas Sommer macht gerade ein Foto eines Paars im Abteil, das die beiden als Postkarte mitnehmen können. „Manche kommen jedes Jahr“, sagt Geburek. Rund 150 Kilometer groß sei der Radius des Einzugsgebiets.

„Wir sind bewusst nicht missionarisch unterwegs“, sagt Geburek. Allein durch das kurze Innehalten im Getümmel des Maimarkts soll Gelegenheit entstehen, über den Glauben ins Gespräch zu kommen. Was funktioniert: Da ist der Besucher, der das theologische Gespräch sucht, von Geburek wissen will, wie das ist mit der Zwei-Reiche-Lehre Luthers und der Dreieinigkeit. Da sind Besucher, die ein persönliches Schicksal erlebt haben und sich mitteilen möchten, erinnert sich Geburek an einen Vietnam-Veteranen im Rollstuhl vergangenes Jahr. Und es kommen Menschen, die Frust erlebt haben mit der Institution Kirche. „Ich habe mit einer Frau gesprochen, die unzufrieden damit war, wie die Gemeindefusion in ihrer Heimatgemeinde in Mannheim gelaufen ist.“ Wieder andere nutzen die Gunst der Stunde und erkundigen sich, wie sie an eine Taufbescheinigung kommen – oder verewigen sich mit ihrer Meinung per Filzstift an der großen Litfaßsäule.

Auch wenn die Aussagen offensichtlich nicht alle ernst gemeint sind – „wir müssen ein bisschen Zensur üben“ –, wird klar: Kirche ist den meisten ein Reisebegleiter, ein Helfer bei Lebensstationen wie Konfirmation, Taufe oder Hochzeit. Sie wird wahrgenommen bei Kirchenmusik, Kinderkirche oder der Chance zu ehrenamtlichem Engagement: Kirche als Dienstleister – wohl auch deshalb hat sie seit Jahren ihren Platz in Halle 25 – neben Bundeswehr, Bundestag, Finanzämtern der Region, Feuerwehr und Polizei. „Ich habe überhaupt kein Problem mit dieser Auffassung“, sagt Geburek. Florian Riesterer

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