Eigentlich nicht wegzudenken

Lore Herberger hört nach 70 Jahren Chordienst in der Landauer Kantorei auf – Ehrung am 25. Juni

Engagiert sich auch nach ihrer Zeit im Chor weiter in der Stiftskirchengemeinde Landau: Lore Herberger. Foto: VAN

Ein wenig wehmütig wird ihr schon zumute sein, wenn sie am 25. Juni zum letzten Mal in der Stiftskirche ihren Platz im Chor-Alt bezieht. Dann nämlich zieht Lore Herberger einen Schlussstrich unter die schier unfassbar lange Zeit von 70 Jahren im aktiven Chordienst der Landauer Kantorei. Ihr eigener Entschluss, stellt sie umgehend klar. „Niemand hat mir das Aufhören nahegelegt.“ Aber die Stimme lasse halt merklich nach. Dass ihr letzter Auftritt in einem besonders festlichen Rahmen stattfindet, dem Gottesdienst zur Verabschiedung von Stefan Viegelahn als Landauer Bezirkskantor, freut sie ungemein.

Wer die von Statur sehr kleine, ungemein agile 82-Jährige erlebt, ihre heitere Eloquenz, ihren mit wachen, leuchtenden Augen, dazu ungemein humorvoll vorgetragenen Geschichten und Lebensweisheiten lauscht, kann sich kaum vorstellen, dass so jemand bei irgendetwas freiwillig die Bremse anzieht. Sie lacht. „Es bleibt ja noch genug für mich zu tun.“ Obgleich die Kantorei schon ihre ganz große Herzenssache war.

Als der Landauer Schulrat Heinrich Borchers 1947 an der Stiftskirche einen Jugendchor gründete, ließ Lore Herberger sich nicht zweimal bitten. Zwölf Jahre alt war sie damals und Präparandin. Borchers war ein gewiefter Pädagoge, erinnert sie sich. „Ich musste als Einzige immer alle vier Stimmen mitlernen. Begründung: Falls mal jemand ausfällt, könne ich einspringen. Sehr viel später habe ich erfahren, dass er das nur gemacht hat, um mich Unruhegeist halbwegs ruhig zu stellen. Reine Beschäftigungstherapie.“

Bereits zwei Jahre später, mit Amtsantritt des neuen Leiters Herbert Jäger, war Herberger mitsamt dem kleinen Nachwuchsensemble als Mitglied im Kirchenchor integriert. Seither hat die zierliche, graublonde, durchaus energische Sängerin ihrer Landauer Kantorei fest die Treue gehalten. „Man könnte sagen, ich habe bereits sechs Chorleiter verschlissen“, schmunzelt Lore Herberger. Und listet sie alle in einem Atemzug inklusive Daten der Amtszeit auf. Beim siebenten, Stefan Viegelahn, habe sie besonders gerne gesungen.

Der Gesang spielte stets die „erste Geige“ im weitgefächerten ehrenamtlichen Programm von Lore Herberger. Ab 1972, mit Beginn der Kantorentätigkeit des damaligen Kirchenmusikdirektors Heinz Markus Göttsche, wurde sie zudem Chorsprecherin und somit „Mädchen für alles“, was an Zuarbeit für den künstlerischen Leiter anstand. So bereitete sie Konzerte mit vor, stattete Nachfeiern aus und organisierte Chorreisen. Bis 2004, also 32 Jahre lang, hat die agile Mutter von zwei Kindern und mittlerweile auch zwei Enkeltöchtern alleine gestemmt, was heute ein Chorrat mit einem knappen Dutzend Mitgliedern leistet.

Als Heinz Markus Göttsche, seit 1969 Kirchenmusikdirektor in Speyer, 1972 Joachim Stepp im damals nebenamtlichen Landauer Kantorat beerbte, sei der musikalische Aktionsradius vergleichsweise schlicht gewesen, beschreibt es Herberger vorsichtig. Göttsche kam im Februar und wollte gleich am Karfreitag die „Musikalischen Exequien“ von Heinrich Schütz aufführen. Sie habe sich ein Herz gefasst und den neuen Mann am Pult gewarnt: „Das wird zu schwer – Sie kennen uns nicht.“ Seine Antwort: „Mit Verlaub – Sie kennen mich nicht. Es gibt keine schlechten Chorsänger, nur schlechte Dirigenten.“ Die Exequien gingen prächtig über die Bühne.

 „Ich hab’ schon immer gerne organisiert, Dinge praktisch in die Hand genommen“, kommt sie wieder zum Kern und erzählt vom Fischgeschäft der Familie, später dem ebenfalls im Familienverband betriebenen Bratwurststand, mit dem sie auf Märkten und Volksfesten unterwegs war. Die Trennung von ihrem Mann – da waren die Kinder „zum Glück aus dem Gröbsten“ – hat dann das Talent zur ganz banalen Alltagsbewältigung zusätzlich stimuliert. Ihre „Chordienste“ freilich wurden auch damals niemals vernachlässigt.

Später, in den letzten Jahren vor dem Ruhestand, hat Lore Herberger sozusagen an der administrativen Quelle, in der Verwaltung des Evangelischen Dekanats Landau nämlich, gearbeitet – was ihren ehrenamtlichen Eifer wiederum nicht bremste. Im Gegenteil: „Da habe ich stets meine Enkelinnen Melinda und Leandra integriert, die sind auf diese Weise ganz natürlich in die Chor- und Gemeindearbeit hineingewachsen“, schildert Herberger und fügt nachdrücklich hinzu: „Das hat schon bei meinen Kindern bestens funktioniert.“ Die seien auf jeweils unterschiedlichen Gebieten mit gleicher Selbstverständlichkeit ehrenamtlich engagiert.

Dass sie so klein von Statur sei, habe ihr im Leben mehr Vorteile als Nachteile gebracht, bekennt sie. „Zudem war ich ja auch rothaarig – damals durchaus noch ein Anlass zum Spott. Aber als ich sechs war, stellte meine Mutter mich, das kleinste von vier Geschwistern, vor den Spiegel und sagte: Schau dir deine rotgold glänzenden Haare an – du bist was ganz Besonderes. Damit erhielt mein Selbstbewusstsein das entscheidende Polster.“

Und da Lore Herberger gerne mit Menschen zu tun hat, konnte sie auch stets engagierte Teams um sich versammeln, wurde gestützt und bestärkt durch die menschliche Gemeinschaft und Zuwendung. Ans Aufhören denkt sie noch lange nicht. Auch wenn zumindest der Notenständer jetzt bald zugeklappt wird. Gertie Pohlit

 

Kleiner Ehrenamtsreigen

Lore Herberger ist – etwas pathetisch ausgedrückt – so etwas wie die Inkarnation des kirchlichen Ehrenamts schlechthin. Sie hat ihre Dienste gesammelt wie andere Glasperlen. So hat sie die Geschicke ihrer Stiftskirchengemeinde 30 Jahre als Presbyterin mitgestaltet (1972 bis 2002), hat 17 Jahre lang Kindergottesdienst gehalten, ihre Teams selbst zusammengestellt und angeleitet, war in der Vorbereitung der Bibelwochen engagiert und hat bei einer jahrzehntelangen Reihe von Gemeindefesten die Bewirtung fest in die Hand genommen – von der Kalkulation über die Bestellung bis zum Dienst am Stand.

Auch die liebevolle Vorbereitung des Osterfrühstücks vertraute man ihr nur zu gerne immer aufs Neue an. Die über Jahre gepflegte Seniorentheatergruppe an der Landauer Matthäuskirche erwähnt sie eher am Rande. Heute, sagt sie, kümmere sie sich nur noch um die alljährliche Organisation der goldenen Konfirmation, helfe beim Verteilen des Gemeindebriefs. Und natürlich hütet sie, wie schon während der vergangenen 20 Jahre, in den Monaten April bis Oktober einmal wöchentlich ihre Stiftskirche – führt Touristen herum, beantwortet Fragen.

Bis vor Kurzem hat sie im Altenheim Bethesda alte Damen betreut, ihnen schon mal einen Behördengang abgenommen, sie mit ihrem Mercedes zum Arzt kutschiert oder einfach ein bisschen erzählen lassen. Zuhören können zählt nämlich ebenfalls zu ihren Talenten. „Sich Zeit nehmen für andere Menschen“, das sei heutzutage beklagenswert unüblich geworden, sagt Herberger. „Ich lass’ mich von Terminen nicht unter Druck setzen – wenn es um Menschen geht, müssen andere Dinge warten können“, lautet ihr Credo. Niemals habe sie etwas als Last empfunden, stets alles mit Freude und Neugierde auf die nächste Aufgabe angepackt. gpo

 

 

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