Unsichtbares sichtbar machen

Die große Zeit des Kirchenbaus ist vorbei – Jetzt wird umgebaut • von Klaus Koch

Nur noch selten werden neue Kirchen gebaut. 2002 wurde die Auferstehungskirche in Speyer als bisher letzte Gemeindekirche der Evangelischen Kirche der Pfalz in Betrieb genommen. Foto: Landry

Jüngste Kirche in Hessen-Nassau ist die Kirche im neu entstehenden Frankfurter Stadtteil Riedberg, die 2011 eingeweiht wurde. Foto: Sandrisser

Wie in den alten Kirchen wird auch in den neuen viel mit Licht gearbeitet. Das gilt auch für den Kirchenpavillon der Landauer Landesgartenschau. Foto: VAN

Prunk und Pomp sind am Anfang nicht vorgesehen. „Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist“, schreibt der Apostel Paulus an die Gemeinde in Korinth. Die ersten Christen brauchen keine großen Gebäude. Ihnen reicht ein Versammlungsraum zum gemeinsamen Mahl, für Taufen, Gottesdienste oder Beerdigungen. Wichtig ist die Gemeinschaft, nicht der Raum. Und außerdem leben die Urgemeinden in der Erwartung der baldigen Wiederkehr des Messias. Warum sollen sie da noch groß bauen?

Doch es kommt bekanntlich anders. Nachdem Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert glaubt, er verdanke sein Kriegsglück dem Gott der Christen, fördert er massiv christliche Bauvorhaben. Und diese Kirchen haben vor allem römische Prachtbauten, die Basiliken, zum Vorbild. Der Kirchenbau orientiere sich immer auch am Zeitgeist, sagt Birgit Weindl vom Forum Kunst und Kirche der pfälzischen Landeskirche. Doch mit dem Zeitgeist ist es nach dem konstantinischen Bauboom nicht mehr weit her. In Europa herrscht viel Unruhe und Migration. Erst um 1000 bildet sich mit der Romanik ein erster eigenständiger Kirchenbaustil, der sich, wie der Name schon sagt, allerdings auch an den römischen Baustil anlehnt.

Gedrungen und erdverbunden sei die Romanik gewesen, sagt Weindl. In wilden Zeiten sollen die Menschen wenigstens in der Kirche geschützt sein und ein bisschen himmlischen Frieden spüren. Der Speyerer Dom ist die größte erhaltene Kirche der Welt aus dieser Zeit. Bereits 200 Jahre später geht es dann hoch hinaus. Bis heute beeindrucken die gotischen Kirchen die Menschen. Wie erst muss es damals gewesen sein, als die Gläubigen aus ihren fensterlosen Hütten in die filigranen, lichtdurchfluteten, mit farbigem Glas ausgestatteten und bis zu 40 Meter hohen Räume kommen?

Neue Techniken und neues Material machen die imposanten Räume möglich, es entstehen Bauhütten, und manches technische Problem wird durch neue Erfindungen während der Bauzeit gelöst. Und wie immer, wenn der Mensch meint, alles sei schon einmal da gewesen, besinne er sich wieder auf die Vergangenheit, sagt Weindl. Also folgt auf die Gotik die Renaissance. Der Kirchenbau orientiert sich am antiken Vorbild.

Die letzte Architekturepoche, in der Sak­ral­bau­ten die entscheidende Rolle spielen, ist dann der Barock. In dieser Zeit laufe der Kirchenbau nochmals zur Hochform auf, sagt Weindl. In Zeiten der Gegenreformation will die katholische Kirche zeigen, was sie drauf hat. Die Kirchenräume erinnern an große Filmpaläste, Macht wird inszeniert, der Mensch soll im Unendlichen schwelgen, Bilder überwältigen die Gläubigen. Es folgen auf das Barock noch viele Stilrichtungen, doch die Typologien sind nicht mehr eindeutig. Während profane Bauwerke des Klassizismus, des Historismus oder des Jugendstils entstehen, werden auch neoromanische oder neugotische Kirchen gebaut.

So vielfältig die einzelnen Architekturstile des Sakralbaus auch sind, soll natürlich das Gotteslob im Mittelpunkt stehen, aber immer auch zu Ruhm und Ehre des Bauherrn beitragen, sagt Weindl. Sie verweist darauf, dass allen Kirchenbauten der Versuch gemeinsam ist, die Unverfügbarkeit Gottes deutlich zu machen, im Prinzip also Unsichtbares sichtbar zu machen. Neben dem Material spielt dabei das Licht eine entscheidende Rolle: Die Strahlen der Sonne als Zeichen für Jesus Christus, der Sonne der Gerechtigkeit.

Das gilt auch, wenn heutzutage in Zeiten des Mitgliederschwunds und der klammen Kassen ausnahmsweise einmal neu Kirchen gebaut werden. „Auf keinen Fall wollten wir eine Mehrzweckhalle“, sagt Pfarrerin Kirsten Emmerich von der Frankfurter Riedberggemeinde. Auf der vormals grünen Wiese entsteht hier ein völlig neuer Stadtteil, in dem bis 2019 rund 20000 Menschen leben sollen. Im April 2004 wird dort eine neue evangelische Gemeinde gegründet, 2011 ein neuer Kirchenbau in Betrieb genommen.

Der Neubau, auf dem Berg fast über dem Neubaugebiet thronend, passt architektonisch zur Umgebung, aber er strahlt unverkennbar Sakrales aus. Das Dach der Kirche läuft spitz zu, das der dazugehörigen Funktionsräume ist flach. Gerade Menschen, die etwas Neues wagen, wie den Umzug in einen völlig neuen Stadtteil, wollen Bewährtes, sagt Emmerich. Die Gemeinde lege Wert auf einen traditionellen Gottesdienst in einem klar als Kirche erkennbaren Raum, mit festem Platz für Altar und Ambo. Nicht ganz traditionell ist das Lichtkreuz in der Kirche, das hinter den Altar projiziert wird; das einzige Element, das zu Diskussionen geführt hat. Dass die neue Kirche ankommt, merkt Emmerich am Gottesdienstbesuch. Obwohl auf dem Riedberg vor allem jüngere Menschen lebten, sei die Kirche immer gut besucht. Und in der Riedberggemeinde gibt es deutlich mehr Taufen als Beerdigungen. Ein Garant dafür, dass sich diese Kirche in die Erinnerung der Menschen einprägen wird.

Die bisher letzte Gemeindekirche der pfälzischen Landeskirche ist die 2002 gebaute Auferstehungskirche in Speyer. Während der Bauzeit ist Christine Klein-Müller dort Pfarrerin. Sie erinnert sich vor allem daran, dass auch ihre Gemeinde nicht länger in einem Multifunktionsgebäude Gottesdienst feiern will. Und sie erinnert sich an die große Bedeutung des Lichts in dem Neubau. Lichtdurchlässiges Glas soll symbolisieren, dass die Kirche zur Welt offen ist, aber doch ein in sich geschlossener Raum. Aber das Glas macht zunächst Probleme, denn es sorgt nicht nur für Transparenz, sondern auch für ordentlich Wärme im Sommer.

Sie hoffe, das Problem sei zufriedenstellend gelöst, sagt Klein-Müller. Denn der Kirchenraum biete viele Chancen für ein lebendiges Gemeindeleben. Und auch in der Auferstehungskirche wird der Versuch deutlich, eigentlich Unverfügbares begreifbar zu machen. Das Kreuz hinter dem Altar ist durch Auslassung entstanden. In der Rückwand fehlt Material in den Konturen des Kreuzes, das Licht flutet hindurch.

Trotz dieser Ausnahmen ist die große Zeit des Kirchenbaus längst vorbei. Allerdings sei nun die große Zeit des Kirchenumbaus angebrochen, sagt der Kaiserslauterer Architekt Dirk Bayer. Er ist einer der wenigen jungen Architekten, die sich intensiv mit Kirchen auseinandersetzen. Der Professor an der Universität Kaiserslautern geht mit seinen Studenten regelmäßig auf Exkursion zu besonderen Kirchen und ist an den Kirchbautagen des EKD-Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart an der Philipps-Universität Marburg beteiligt. Er hat den Kirchenpavillon für die Landesgartenschau in Landau entworfen und zeichnet für den preisgekrönten Umbau der Kirche in der Homburger Gemeinde Bruchhof-Sanddorf verantwortlich.

Für Architekten sei es schwierig und spannend zugleich, sich in der heutigen Zeit mit Kirchen zu beschäftigen, sagt Bayer. Klar sei, dass nicht alle Kirchen bestehen bleiben könnten. Doch die Aufgabe von Kirchen sei ein emotionales Problem. Auf der einen Seite seien die Menschen sehr stark mit ihren Kirchen verbunden und wollten nicht loslassen. Außerdem seien die Gebäude von ikonografischer Bedeutung, häufig städtebaulich zentral und auch als Orientierungspunkte wichtig.

Derzeit habe er den Eindruck, dass viele Gemeinden mit diesen komplexen Gebäudeproblemen alleingelassen würden, sagt Bayer. Alle wollten alles in der Gemeinde machen und dafür auch Gebäude vorhalten. Und auch wenn eine Kirche architektonisch allenfalls B- oder C-Ware sei, würde sofort ein Förderverein gegründet, auch wenn der Erhalt wenig sinnvoll sei. Doch das werde auf Dauer nicht funktionieren, ist er sich mit Birgit Weindl einig, die einem landeskirchlichen Arbeitskreis angehört, der Gemeinden im Umgang mit ihren Gebäuden weiterhilft. Trotz Mitgliederschwund und Geldmangel denke noch jede Gemeinde vor allem an sich, sagt sie.

Bayer plädiert nicht dafür, sich auf architektonisch wertvolle Kirchen zu kon­zent­rieren und den Rest aufzugeben. Vor allem will er nicht in die Klagen über die Betonkirchen der Nachkriegszeit einstimmen. Auch sie seien Teil der Architekturgeschichte und mit ihrer Gestaltung und Atmosphäre in der Lage, Menschen zu berühren. Deshalb müsse sich eine Gemeinde, bevor sie eine Kirche umbaue, saniere oder aufgebe, Gedanken über ihre Zukunft machen. Dafür bedürfe es starker Pfarrerinnen und Pfarrer, die gemeinsam mit ihren Gemeinden definierten, wo die Reise hingehen soll, und an einem solchen Ziel dann auch festhielten.

Die schwierige Aufgabe des Architekten sei es dann, Gebäude so zu verändern, dass sie diesen Zielen dienen und gleichzeitig ihre Sakralität behielten, sagt Bayer. Auch für ihn sind dabei vor allem Licht, Material und Form entscheidend. Aber auch Geduld. Es sei für einen Architekten nicht einfach, Gemeinden über die gelegentlich jahrelange Planungsphase zu begleiten. Mancher Kollege könne dabei auch betriebswirtschaftlich an Grenzen kommen, denn nicht alles in diesem Prozess sei über das Honorar abzurechnen.

Dennoch ist Bayer durchaus zuversichtlich, was die architektonische Zukunft der Kirchen betrifft. Entscheidend sei schon immer gewesen, ob eine Kirche die Menschen interessiere und berühre. Das werde auch so bleiben. Wertvolle und bedeutende Gebäude zögen letztlich eine geeignete Nutzung geradezu an. Architektonisch unbedeutende Kirchen hingegen würden zwangsläufig immer weniger genutzt. Und diese Kirchen könnten dann auch fallen.

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