Klares Plädoyer für den freien Sonntag

Kultur der Muse gefordert – Malu Dreyer und Irmgard Schwaetzer fordern Kirchen zur Veränderung auf

Aus Liebe zur Wahrheit (von links): Hartmut Metzger, Malu Dreyer, Irmgard Schwaetzer und Michael Garthe. Foto: Landry

Ministerpräsidentin Malu Dreyer und die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Irmgard Schwaetzer, haben sich für den Schutz des arbeitsfreien Sonntags eingesetzt. Der Sonntagsschutz berühre die Frage, wie die zukünftige Gesellschaft aussehe, sagte Dreyer vor rund 550 Besuchern in der Speyerer Gedächtniskirche. Menschen seien mehr als nur Konsumenten und Produzenten. Wenn an einem Sonntag gearbeitet werde, bedürfe dies einer sozialethischen Begründung, sagte Schwaetzer.

Trotz aller kulturellen Veränderungen sei der freie Sonntag für die Gesellschaft wichtig, sagte Dreyer. Für alle, die nicht unbedingt arbeiten müssten, solle der Sonntag ein Tag für Freunde und Familie bleiben. Ein solcher Freiraum sei nicht nur aus christlicher Sicht gut für die Menschen. Schwaetzer plädierte für eine neue Kultur der Muße. Der Sonntag sei eine heilsame Unterbrechung der Hektik des Alltags, die Menschen Ausgleich und Maß finden ließen.

Die religiöse Dimension des Sonntags sei in der Gesellschaft zunehmend umstritten, sagte Schwaetzer. Dennoch müssten die Kirchen darüber nachdenken, warum die Menschen in großer Zahl zu Esoterikmessen gingen, die Gottesdienste aber immer schlechter besucht seien. Es sei notwendig, über neue Formen des Gottesdienstes nachzudenken. Es gelte für die Kirchen, mit den Gläubigen gemeinsam herauszufinden, welche Bedürfnisse es gebe. Die Kirchen müssten sich aber verändern und weiterentwickeln, um attraktiv zu bleiben oder es wieder zu werden, sagte Dreyer. Die katholische Ministerpräsidentin kritisierte, dass es ihre Kirche immer noch verbiete, gemeinsam mit Protestanten Abendmahl zu feiern.

Angesichts des zunehmenden Populismus und der Flüchtlingsdebatte forderten Dreyer und Schwaetzer eine offene Diskussion über das Ziel der Gesellschaft und den Weg dorthin. Die großen Parteien müssten dabei ihre unterschiedlichen Auffassungen deutlicher machen, sagte die ehemalige FDP-Politikerin Schwaetzer. Dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer warf sie vor, den rechten Rand in der Gesellschaft zu stärken. „Wer gelegentlich so redet wie der rechte Rand, ohne davon etwas umsetzen zu können, stärkt das Original.“

Der Abend zum Thema „Was ist uns der Sonntag wert? Unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert“ war Teil der Reihe „Aus Liebe zur Wahrheit: Speyerer Thesen zur Reformation“ der „Rheinpfalz“ und des KIRCHENBOTEN. koc

Unsere Thesen zur Reformation

„Aus Liebe zur Wahrheit – Speyerer Thesen zur Reformation“ heißt die Reihe zum 500. Jahrestag des Thesenanschlags Martin Luthers in Wittenberg, die im April 2009 in der Gedächtniskirche der Protestation gestartet wurde. Die Chef­redakteure von KIRCHENBOTE und „Rheinpfalz“ haben auch zur 13. Veranstaltung Thesen formuliert.

Hartmut Metzger: 1. Nach christlichem Verständnis ist der Sonntag der erste Tag in der Woche, und er ist der Tag der Auferstehung Jesu. Das Sabbatgebot der Bibel ist damit auf den Sonntag als christlichem Ruhetag übergegangen. 2. Mose 34, 21: Sechs Tage sollst Du arbeiten, aber am siebten Tag sollst Du ruhen. Der Tag der Auferstehung ist eine von Gott geschenkte Zeit, um zu feiern, was Gott gemacht hat.

2. Diese von Gott geschenkte Zeit ist eine heilsame Insel in der Woche, und die Feier des Sonntags verbindet alle Christen. Sie erinnert daran, dass die Menschen nicht befreit und gerettet sind durch ihre Arbeit, sondern durch Gottes befreiendes Handeln in Jesus Christus. Der Mensch verdankt sein Leben nicht sich selbst. Diese Einsicht leidet ebenso wie die gemeinsame Heiligung des Sonntags.

3. Kardinal Karl Lehmann schreibt in dem Büchlein „Den Sonntag wiederentdecken“, das Pastor Jochen Wagner 2015 herausgegeben hat: Er verstehe, dass „viele Betroffene in konfessionsübergreifenden Ehen, aber auch viele um die Ökumene besorgte Menschen wegen des Fehlens gemeinsamer ökumenischer Gottesdienste am Sonntagmorgen und wegen der mangelnden Gemeinschaft im Herrenmahl unzufrieden sind“. Ich halte diese Tatsache, 500 Jahre nach dem Beginn der Reformation, für einen unglaublichen Skandal.

Michael Garthe: 1. Lasst den Sonntag bleiben, was er ist: Ruhetag, Feiertag, Familientag, Besinnungstag, Freizeittag, Gottesdiensttag, Gebetstag. Ohne Sonntag ist alles nur Werktag. Ohne Sonntag sind wir arm.

2. Der Sonntag ist der Tag aller Christen, egal, ob katholisch, evangelisch oder freikirchlich. Nur die Christen gemeinsam retten den Sonntag als das, was er ist. Deshalb muss der ökumenische Gottesdienst am Sonntag normal sein und darf nicht mehr länger die Ausnahme bleiben.

3. In unserer offenen Gesellschaft ist der Sonntag für alle da, die hier leben: Christen, Juden, Muslime, Atheisten … Da demonstrieren wir christlichen Glauben und dazu gehören: Nächstenliebe, Toleranz, Gewaltfreiheit, Gleichheit von Mann und Frau, Glaubensfreiheit, Meinungsfreiheit. Der Sonntag ist nichts weniger als ein Sinnbild unserer Werte, unserer Kultur. KB

Auch ähnliche Positionen können spannend sein

Umfrage unter Besuchern des Podiumsgesprächs – Vor allem Frauen hören Dreyers Appell ans Publikum

Dass beide Diskutantinnen ähnliche Positionen vertraten, war vielen Besuchern aufgefallen. 17 nahmen an einer Umfrage des KIRCHENBOTEN teil.

„Das war vorauszusehen, als Politikerin musste Dreyer ausgleichend wirken, und Schwaetzer war ja auch lange Zeit Politikerin in FDP-Spitzenpositionen – da kam sie mir schon tiefgründig vor und passt gut als Präses der EKD-Synode“, meinte Hertha Messerschmitt aus Offenbach an der Queich. Henri Franck aus Speyer meinte, dass das Podiumsgespräch für ihn dennoch spannend gewesen sei, „weil beide den Sonntag unter verschiedenen Aspekten durchdekliniert und sich ergänzt haben.“ Dreyer habe einen pluralistischen Ansatz gewählt, Schwaetzer einen verbindlich protestantischen. Für Reiner Grünebaum aus Dannstadt waren die Ruhe und Gelassenheit ein Genuss, mit denen die beiden Frauen die Fragen der Moderatoren beantworteten und ihre Positionen erläuterten. Juliane Schmidt aus Ludwigshafen lobte ebenfalls die „Souveränität der beiden“. Rebecca Bodmann aus Speyer hätte sich gewünscht, dass Schwaetzer sich pointierter äußerte. Erwin Martin aus Großniedesheim kritisierte „teils tendenziöse Fragen“ der beiden Moderatoren, die „sehr die Journalisten gegeben“ hätten. Wolfgang Will aus Kirchheim bezeichnete dies dagegen als „guten Job gemacht“.

Gisela Beckstein aus Dannstadt bekannte, sie nehme Äußerungen der beiden Frauen als Impulse mit in ihren Alltag. Hedwig Riedel aus Neuhofen gefiel Dreyers Appell an die Besucher, sensibler für Sonntagsarbeit zu werden und sich selber nach Möglichkeit dort zurückzunehmen und auf Dienstleistungen von Menschen zu verzichten, die man dadurch entlasten könne. Frank Ogrowsky aus Speyer fand es ebenso schade wie Erwin Martin aus Großniedesheim, dass die Moderatoren das Thema Sonntag verließen und auf den Islam zu sprechen kamen. „Nach der Hälfte sind sie abgeschweift zum Islam-Problem, das keines ist“, sagte Martin. Rainer Blendin aus Bad Dürkheim kritisierte die Schlussfragen, ob sich die Diskutantinnen Luther zurückwünschten oder den Papst für Protestanten wünschten, als „slapstickhaft“. dob

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