Ein Populist ist kein enttäuschter Demokrat

von Nils Sandrisser

Nils Sandrisser

Man müsse den Leuten endlich mal zuhören, hieß es vor vier Jahren, als die Pegida-Bewegung Dresdens Straßen und Plätze füllte. Weil der angeblich linke Mainstream Menschen mit konservativem Weltbild nie ernst genommen habe, äußere sich der Protest jetzt so aggressiv.

Nach vielen Runden des Zuhörens und politischem Entgegenkommen – zum Beispiel mit der Verschärfung des Asylrechts oder der Begrenzung des Familiennachzugs – bleibt die Erkenntnis, dass all das an der Aggressivität, die von rechts außen kommt, nichts verändert hat. Die ehemalige Professorenpartei AfD hat sich seither mehrfach radikalisiert.

Aber immer noch muss die Prämisse gelten: Die Sorgen der Menschen ernst nehmen! Über Abstiegsängste wird bislang kaum gesprochen. Unbestreitbar ist es Angst, die den rechten Furor befeuert. Zwar stimmt es nicht, dass es vor allem Arme und Abgehängte seien, die in Scharen der AfD hinterherlaufen. Die Partei hat ihre Anhängerschaft vor allem in der Mittelschicht. Das ist insofern nicht ungewöhnlich, als dass diese Gruppe auch in der Vergangenheit Träger der Radikalisierung war. Auch wer einen sicheren Job und ein kleines Häuschen hat und damit reicher ist als 90 Prozent der Menschheit, darf Angst vor Abstieg haben. Das ist nicht das Problem. Die Frage ist: Warum gelingt es vielen Menschen, mit ihren Ängsten konstruktiv umzugehen, ohne Flüchtlinge oder Muslime für alles Mögliche verantwortlich zu machen oder eine Verschwörung „der Elite“ gegen „das Volk“ zu wittern, während andere das nicht schaffen?

Antworten auf diese Frage liefern die Sozialwissenschaften. Zum Beispiel die aktuelle „Mitte“-Studie der Universität Leipzig. „Die Agitatoren verführen nicht, sondern greifen fast schlafwandlerisch die Bedürfnisse ihrer Zuhörerinnen und Zuhörer auf. Diese fallen nicht auf die Populisten herein, sondern beide erschaffen sich gegenseitig“, schreibt darin der Sozialpsychologe Oliver Decker. Demnach gibt es Menschen, die autoritäre Sichtweisen verinnerlicht haben, und zwar ganz unabhängig von äußeren Faktoren wie Wirtschaftslage oder Zuwanderung. Das sind lediglich Katalysatoren. Es erklärt, warum alles Entgegenkommen so verpufft ist. „Wer glaubt, Populisten seien enttäuschte Demokraten, geht in die Irre“, sagt Decker.

Wer autoritär tickt, dem muss wieder klar werden, dass die Mehrheit ­liberal und demokratisch leben will. Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Körperliche Gewalt ist barbarisch und verbietet sich von selbst. Nicht die Menschen sind abzulehnen, sondern deren Positionen. Insofern ergibt es schon Sinn, wenn die Kirchen deutlich darauf hinweisen, welche Werte für sie und für eine demokratische Gesellschaft nicht verhandelbar sind. Eine entschiedene ­Gegenrede kann dazu beitragen, dass diese Menschen sich wieder als die Minderheit fühlen, die sie sind.

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