Altes Rom und neues Deutschland

von Martin Schuck

Martin Schuck

Wer erinnert sich noch an die Debatte, die der damalige Vorsitzende der CDU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Friedrich Merz, im Jahr 2000 entfachte, als er erstmals eine deutsche Leitkultur forderte? In den Medien ging es kurz und kräftig hin und her, dann brach die Debatte ab, weil eingesehen wurde, dass an Fragen der Alltagskultur die politische Regelungskompetenz endet. Bei Fragen, die ein rechtskonformes Verhalten der Einwohner, auch der Zugereisten, fordern, sind staatliche Behörden und Gerichte für die Einhaltung zuständig. Private Vorlieben dürfen dagegen privat bleiben.

Dennoch greift es zu kurz, wenn behauptet wird, Bundesinnenminister Thomas de Maizière fache die alte Debatte nur deshalb wieder an, weil ein Wahlkampf bevorsteht und mit der Thematisierung der deutschen Leitkultur der AfD das Wasser abgegraben werden solle. Tatsächlich benennt de Mai­zière einige Selbstverständlichkeiten, die im Zusammenleben der Einwohner dieses ­Landes nicht immer Beachtung finden. ­Dabei geht es, wohlgemerkt, um alle Bevölkerungsgruppen und nicht nur um Migranten, die sich integrieren sollen.

Beim Blick auf die Themen, die der Innenminister nennt, fällt aber auf, dass es nicht nur um Fragen des Verhaltens geht, sondern um das Anerkennen von Konsensen, die sich in jahrelangen politischen und kulturellen Debatten herauskristallisiert haben. Man kann mit guten Gründen über Themen wie Bildung, Leistung und Kulturnation anders denken als der Innenminister, ohne sich deshalb ins gesellschaftliche Abseits zu stellen. Was de Maizière fordert, ist genau genommen die Einwilligung in eine Zivilreligion. Diese mag es im alten Rom gegeben haben – sie ist nichts für das neue Deutschland.

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