Es braucht mehr als schöne Worte

von Klaus Koch

Klaus Koch

Martin Luther sah in der Arbeit alltäglichen Gottesdienst. Die Gewerkschaften kämpfen seit ihrem Bestehen für ein Recht auf Arbeit. Am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, wird wieder deutlich, dass Kirchen und Gewerkschaften für gleiche Werte streiten, auch wenn diese Werte unterschiedliche Wurzeln haben. In Gottesdiensten wie auf Maikundgebungen ist viel die Rede von Gerechtigkeit, Solidarität, Nächstenliebe und Menschenwürde.

Diese Begriffe genießen große Akzeptanz. Und doch werden die beiden Großorganisationen immer kleiner. Die EKD ist von 1990 bis heute von fast 30 auf etwa 20 Millionen Mitglieder geschrumpft. Der DGB wurde im gleichen Zeitraum von fast zwölf auf knapp sechs Millionen Mitglieder nahezu halbiert. Gründe dafür gibt es einige. An erster Stelle steht wohl ein Paradox. Viele Menschen meinen, sie könnten ihr Leben alleine meistern, brauchten keine Gemeinschaft. Doch gleichzeitig resignieren diese Individualisten, weil sie ob der Macht der globalisierten Wirtschaft denken, bestehende Verhältnisse seien nicht zu ändern.

Die Großorganisationen reagieren auf diese Situation oft mit Rückzug. Die Kirche konzentriert sich auf ihre harmonisch-bürgerliche Kerngemeinde, die Gewerkschaften auf die Facharbeiter in den Konzernen mit hohem Organisationsgrad. Diese Haltung ist der Tod im Topf. Wenn Kirchen und Gewerkschaften ihren Werten gerecht werden wollen, müssen sie den Blick weiten. Sie müssen hin zu den Armen, den prekär Beschäftigten, den Schwachen, den Verlierern, die allesamt meist keine Mitglieder sind. Es reicht nicht, diese Menschen mit schönen Worten zu bedenken. Sie brauchen konkrete Hilfe. Denn auch hier gilt der schöne Satz: Machen ist wie wollen, nur besser.

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