Reformation ist Streit um Wahrheit

von Martin Schuck

Martin Schuck

Auf dem letzten Zettel, den der Reformator Philipp Melanchthon vor seinem Tod am 19. April 1560 schrieb, notierte er, warum er den Tod nicht zu fürchten braucht: „Du wirst befreit von aller Mühsal und entkommst der Wut der Theologen.“ Melanchthon hatte am eigenen Leib erfahren, wie schonungslos Theologen in den Wirren der Reformation miteinander umgingen.

Aber nicht nur die Reformation hatte vor 500 Jahren gewaltiges theologisches Streitpotenzial freigesetzt; auch das Reformationsgedenken 2017 ist ein produktives Jahr für die Wut der Theologen. Da schreibt der Vizepräsident des Kirchenamts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Thies Gundlach, eine wütende Abrechnung mit einigen Theologieprofessoren, denen er eine „grummelige Meckerstimmung gegenüber allen Aktivitäten der EKD“ vorwirft. Die angesprochenen Theologen lassen das nicht auf sich sitzen. Zwei von ihnen, die Göttinger Professoren Thomas Kaufmann und Martin Laube, keilen zurück mit dem Vorwurf, die EKD habe selbst die Reformation theologisch entkernt und erwarte von der theologischen Wissenschaft, ihren „geschichtspolitischen Voreingenommenheiten zu Dienst und Willen zu sein“. Das sei nichts anderes als „die Fortsetzung der DDR mit anderen Mitteln“, nämlich Instrumentalisierung der Wissenschaft für staatliche oder kirchliche Zwecke.

Wer die Art, wie dieser Streit ausgetragen wird, als unwürdig empfindet, der sollte bedenken, dass hier ein urprotestantischer Beitrag zum Jubiläum geleistet wird. Im Kern war die Reformation nichts anderes als ein Streit um die Wahrheit. Dieser Streit muss immer wieder geführt werden, auch wenn die Wut der Theologen nicht nur Melanchthon zu schaffen macht.

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