Seit Luther darf gefastet werden

von Hartmut Metzger

Hartmut Metzger

Jetzt ist es wieder so weit. Am Aschermittwoch hat die 40-tägige Fastenzeit begonnen, und im 500. Jubiläumsjahr des Thesenanschlags Martin Luthers sollten sich die evangelischen Christen daran erinnern: Sie müssen nicht fasten, aber sie dürfen es. Luther befreite die vorösterliche Fastenzeit von kirchenrechtlichen Vorgaben und machte das Fasten zur freiwilligen spirituellen Erfahrung. Im Hintergrund steht Luthers Rechtfertigungslehre: Das Heil erlangt der Mensch nicht, weil er mit seinem Handeln Gott gefallen will. Ulrich Zwinglis Reformation in der Schweiz begann 1522 gar mit dem demonst­rativen Wurstessen am ersten Sonntag der Fastenzeit. „Kein Christ ist zu den Werken, die Gott nicht geboten hat, verpflichtet. Er darf also zu jeder Zeit jegliche Speise essen.“

Heutzutage geht es in den evangelischen Kirchen nicht mehr um Speiseregeln, ­sondern um das Aufbrechen eingefahrener Gewohnheiten. So heißt es in diesem Jahr „Sieben Wochen ohne sofort!“. Die Fasten­aktion (seit 1983) will damit der Ungeduld die Entschleunigung entgegensetzen gemäß den Worten des Predigers: Alles hat seine Zeit. Im Auto telefonieren, an der Ampel mailen, twittern ohne Gehirneinsatz, vieles auf einmal und nach Möglichkeit sofort ­erledigen – das muss alles nicht sein. Auch wichtige Entscheidungen dürfen reifen. Ob dieser betont bildungsbürgerliche Ansatz des Fastens noch dem ursprünglichen ­Anliegen der Reformatoren entspricht, die Erinnerung an das Leiden Christi ins Zentrum der Passionszeit zu stellen, ist mehr als fraglich. Auf jeden Fall ist diese Fastenaktion aber ein Angebot, das jährlich Millionen von Menschen annehmen – und schließlich muss laut Luther jeder selbst wissen, ob und wie und was er fastet.

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