Dort hat Jesus das Kreuz getragen

von Hartmut Metzger

Hartmut Metzger

War es jetzt nur eine besondere Ausprägung von Gedankenlosigkeit, oder war es doch ein Ausdruck der misslungenen Suche nach einem christlichen Standpunkt im 21. Jahrhundert? Identitätsstiftend war dieser Auftritt nicht. Es sind schon einige Tage vergangen, dass die beiden höchsten Repräsentanten des Christentums in Deutschland, Bischof Bedford-Strohm und Kardinal Marx, auf den Jerusalemer Tempelberg marschierten und sich dort fotografieren ließen – in Amtstracht, aber ohne Kreuz. Das hielten sie auf Wunsch der muslimischen Gastgeber auf dem Tempelberg und später sogar an der Klagemauer versteckt. Nachdenklich macht ein solcher Vorfall auf jeden Fall.

Zur Entschuldigung brachte Bedford-Strohm vor, er sei den Bitten der muslimischen und jüdischen Vertreter für die heiligen Stätten gefolgt, habe Provokationen vermeiden wollen und als Vertreter der christlichen Religion friedensstiftend gewirkt. Und er warnte davor, dass rechtsgerichtete Kreise einen anti-islamischen Kulturkampf inszenieren. Jetzt ist aber gerade dieser Ratsvorsitzende der EKD ein ebenso überlegter wie brillanter und keineswegs arroganter Kopf. Das gibt zu denken.

Die oberflächliche Erklärung: Das Gespräch mit den Muslimen im Felsendom war wichtiger als das sichtbare Kreuz, und die beiden Bischöfe hatten den Vorgang am Ausgang schon vergessen. Bilder in schwarzer Amtstracht, aber ohne Kreuz vor dem Felsendom gehen gar nicht! Und die indiskrete Frage: Wie kommen die beiden Bischöfe überhaupt auf die Idee, ausgerechnet in Jerusalem ihr Kreuz abzulegen, solange sie nicht in Zivil, sondern in Amtstracht sind? Jesus hat genau dort, keine 500 Meter vom Felsendom entfernt, das Kreuz getragen.

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