Zehn Jahre Hartz IV zu einem hohen Preis

von Wolfgang Weisgerber

Wolfgang Weissgerber

Der eine ließ Puff-Reisen organisieren, der andere lässt sich von Wladimir Putin aushalten. Aber den kleinen Leuten seien sie ans Portemonnaie gegangen, heißt es. Peter Hartz wurde später wegen Verfehlungen bei VW zu einer Bewährungsstrafe sowie einer halben Million Euro Geldstrafe verurteilt. Heute lebt er von einer vermutlich auskömmlichen VW-Rente, während Gerhard Schröder sich den Lebensabend von Gazprom und Millionärsfreund Carsten Maschmeyer vergolden lässt. Beides scheint ihre Arbeitsmarktreformen noch im Nachhinein zu diskreditieren. Engagierte Gewerkschafter und linke Sozialdemokraten ballen die Faust in der Tasche, wenn sie an die Umwälzungen im Sozialsystem denken, die von Bundeskanzler Schröder angestoßen und dem VW-Vorstand Hartz ausgearbeitet wurden. Vor zehn Jahren traten sie in Kraft.

Aber war das wirklich weiter nichts als Sozialabbau und die Willfährigkeit der Sozialdemokraten vor dem Kapital? Die Wirklichkeit ist komplizierter, als sie auf Parteitagen der Linken erscheinen mag. Richtig ist: Deutschland galt vor zehn Jahren als „kranker Mann Europas“ mit hoher Arbeitslosigkeit, wachsender Staatsverschuldung und schwächelnder Wirtschaft. Dagegen setzte Schröder auf die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, das Modell „Fördern und Fordern“ beim Jobverlust, die Modernisierung der schwerfälligen Arbeitsverwaltung und die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.

Für die Reformvorschläge der Hartz-Kommission gewann Schröder auch die Unterstützung der Opposition. Diese „Agenda 2010“ setzte er gegen Widerstände in der eigenen Partei durch und riskierte seine Kanzlerschaft. Einen hohen Preis hat auch die SPD gezahlt. Mit den als „Politik der sozialen Kälte“ geschmähten Reformen machte sie die Linkspartei stark.

Das Hartz-Konzept hatte zwar handwerkliche Mängel, aber es funktionierte. Die Zahl der Arbeitslosen sank deutlich, auch Langzeitarbeitslose fanden vermehrt neue Jobs. Selbst Schröders Nachfolgerin Angela Merkel musste einräumen, dass der stetige wirtschaftliche Aufschwung wesentlich auf die Schröder’sche Reformpolitik zurückgeht. Heute steht Deutschland vordergründig blendend da. Noch nie waren so viele Menschen in Arbeit; die Steuereinnahmen sind auf Rekordniveau, ein Haushalt ohne neue Schulden ist in greifbarer Nähe.

Der Preis jedoch war hoch. Anders als von der Reform erhofft, sind die Sozialausgaben weiter gestiegen, und dennoch lebt ein wachsender Teil der Bevölkerung in relativer Armut. Die Kirchen, die viele Tafeln betreiben, spüren das täglich. Auch wurde das Wirtschaftswachstum mit Lohnzurückhaltung erkauft. Viele Menschen haben einen Job, können aber nicht davon leben. Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auf, die Mittelschicht fürchtet den Absturz. Der Mindestlohn, der nun kommt, hätte schon ins Hartz-Konzept gehört.

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