Nur wenige Cent für die Produzenten

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

Ach, wie gut geht es uns doch in Deutschland! Viele schöne Dinge gibt es zu kaufen, für wenig Geld. Doch der Wohlstand – Armut gibt es hier auch – hat seinen Preis. Den zahlen andere. Arme Leute am anderen Ende der Welt schuften für Hungerlöhne unter elenden Bedingungen, damit Billigläden bunte Mode zu Schnäppchenpreisen verhökern können. Damit auch exotische Früchte, Kaffee und Schokolade, Fahrräder oder elektronisches Gerät möglichst wenig kosten.

Auf den ersten Blick erscheint das wunderbar: Sozialismus im Supermarkt! Jeder kann sich (fast) alles leisten. Im Grunde ist es aber obszön, wenn ein T-Shirt gerade einmal zwei Euro kostet. Es ist leicht auszurechnen, dass nach Abzug von Steuern, Gewinnspanne des Handels und Transportkosten nur wenige Cent für die Herstellung des Garns, des Stoffs und die Näharbeit bleiben. Überdies ist der Niedrigpreis nicht etwa Voraussetzung für die Einkleidung ärmster Bevölkerungsschichten, sondern die Ursache von gedankenloser Verschwendung. Zwei, drei Mal getragen und ab in die Tonne – die nächste Modewelle rollt schließlich an.

Die Kirchen, „Brot für die Welt“ und viele andere Entwicklungsorganisationen fordern schon lange ein Lieferkettengesetz, das Handel und Industrie verpflichtet, auf dem Weg von der Rohstoffgewinnung bis zum fertigen Produkt auf die Einhaltung von Mindeststandards zu achten. Es soll Menschenrechte wahren, Kinderarbeit verhindern, auskömmliche Löhne gewährleisten und Umweltschäden vermeiden. Wenn die europäische Union das nicht hinbekommt, will Deutschland den Vorreiter machen. So steht es zumindest im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Mit einer kleinen Einschränkung: Das Lieferkettengesetz soll nur kommen, wenn nicht mindestens 50 Prozent der Unternehmen freiwillig und verbindlich auf die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards vom Anfang bis zum Ende der Lieferkette achten. Solche Selbstverpflichtungen der Wirtschaft – von der Frauenquote in Führungsetagen bis hin zum Klimaschutz – haben allerdings noch nie funktioniert.

Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) und sein CSU-Kollege Gerd Müller, im Kabinett für Entwicklung zuständig, wollen daher in seltener Geschlossenheit endlich ein Gesetz auf den Weg bringen. Das hatten sie schon zum Jahresbeginn versucht, doch die Corona-Krise hatte der gebeutelten Wirtschaft eine Atempause verschafft. Ihre Lobbyisten geben sich in Berlin und Brüssel die Klinke in die Hand, um derartige „Gängelei“, wie sie es nennen, zu verhindern. Doch nun, mit dem schrittweisen Fall der umsatzschädlichen Corona-Beschränkungen, wird es offenbar ernst. Auch am Ende der Lieferkette stehen Menschen. Deren Konsumverhalten entscheidet mit, unter welchen Bedingungen die Menschen am Anfang leben und arbeiten. Der Preis allein darf nicht das einzige Kriterium sein.

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