Keine Antwort auf das Flüchtlingselend

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

Die Regierungszeit von Angela Merkel neigt sich dem Ende entgegen. Im Herbst 2021 tritt sie als Kanzlerin ab. Helmut Kohls Rekord von 5869 Tagen wird sie voraussichtlich nur um wenige Wochen unterbieten. Den braucht sie auch nicht – einen Platz in den Geschichte sichert ihr ein einziger Satz: Wir schaffen das.

Aber haben wir es wirklich geschafft? Vor fünf Jahren wollte Merkel die Deutschen beruhigen und aufmuntern. Der Zustrom von mehr als einer Million Menschen werde das Land nicht überfordern. Das hat er auch nicht. Wirtschaftlich konnte und kann Deutschland die hohe Zahl von Flüchtlingen verkraften. Die 20 Milliarden Euro, die dafür jährlich allein im Bundeshaushalt bereitstehen, sind letztlich sogar ein gigantisches Konjunkturprogramm für den Einzelhandel, Vermieter, die Bauindustrie.

Politisch hingegen war und ist das Land überfordert. Die Ankunft der Habenichtse aus dem Süden hat einerseits eine große Welle der Hilfsbereitschaft hervorgerufen. Zugleich aber wuchs in der Bevölkerung die Angst vor Mord und Vergewaltigung durch die Fremden. Sie wurden befördert durch die Kölner Silvesternacht 2015/16, als sich hunderte Frauen von jungen Männern überwiegend nordafrikanischer Herkunft begrabschen lassen mussten. Eine Reihe ähnlicher Fälle setzte sich im kollektiven Bewusstsein fest, auch wenn die Kriminalstatistik eine verstärkte Bedrohung durch Einwanderer verneint.

Das Erstarken der einst von konservativen Wirtschaftsprofessoren und Euro-Gegner gegründeten AfD und ihre erschreckende Rechtsradikalisierung ist eine unmittelbare Folge der diffusen Ängste, die Einwanderer durch ihre bloße Existenz hervorrufen. Erstaunlicherweise vor allem dort, wo er kaum welche gibt – im deutschen Osten. Zudem ist erst die Hälfte der Migranten auf dem Arbeitsmarkt untergekommen. Viele Gestrandete haben weder eine Ausbildung noch ausreichende Sprachkenntnisse – eine soziale Zeitbombe.

Ganz Europa hat auf den wachsenden Wanderungsdruck keine überzeugende Antwort gefunden und tut sich trotz guter Absichten und Ansätze schwer mit der Integration der Flüchtlinge. Beschämend ist vor allem die Praxis, zur Beruhigung der eigenen Bevölkerung die Festung Europa abzuschotten. Flüchtlinge vegetieren unter erbärmlichen Bedingungen in Lagern an der Peripherie oder ertrinken auf dem gefahrvollen Weg übers Meer. Dabei ist die Armut, der die Menschen zu entkommen suchen, vor allem eine Folge westlicher Wirtschaftspolitik und des durch die Industrieländer befeuerten Klimawandels. Die Kriege, die Menschen ihrer Heimat berauben, sind ebenfalls häufig genug das Ergebnis der Politik des Westens, dessen Rüstungsindustrie daran auch noch verdient. Solange sich daran nichts ändert, ist die Aufnahme von Flüchtlingen – mit Merkels Worten – „alternativlos“.

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