Der Gebetsruf und die Religionsfreiheit

von Helmut Frank

Helmut Frank

Die Corona-Pandemie hat das öffentliche religiöse Leben in Deutschland über Wochen lahmgelegt. Doch in eine Sache ist Bewegung gekommen: Etwa 30 Moscheegemeinden in Deutschland hatten bisher eine Erlaubnis für den Muezzinruf – nun kamen viele Gemeinden dazu, die bisher vergebens dafür gekämpft hatten. Nun schallt der Gebetsruf „Allahu Akbar“ auch über die Dächer von Köln, Berlin und Frankfurt. Vielerorts wurde argumentiert, man wolle parallel zum abendlichen 19.30-Uhr-Glockenläuten ein „Zeichen der Solidarität“ setzen.

Vertreter der Kirchen haben diese Entwicklung begrüßt. In Deutschland gilt die Religionsfreiheit. Dieses Grundrecht erlaubt es jedem Menschen, seine persönliche Glaubensüberzeugung frei und öffentlich auszuüben. Doch beim Muezzinruf sollte man einmal genauer hinschauen – oder besser hinhören: „Allah ist am größten! Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Allah. Ich bezeuge, dass Mohammed Allahs Gesandter ist.“ Der Ruf des Muezzin ist in erster Linie ein Bekenntnis. Erst am Schluss kommt der Aufruf: „Eilt zum Gebet!“ Der islamische Gebetsruf ist damit aus theologischer Sicht eine exklusive Gottesverkündung und damit auch eine kultische Handlung.

Naiv erscheint aus dieser Sicht der immer wieder gerne gezogene Vergleich mit den Kirchenglocken. Man kann es nicht vergleichen. Das Bekenntnis im Ruf des Muezzins hat im ursprünglichen islamischen Verständnis eine durchaus aggressive Komponente. Den Ungläubigen wird damit öffentlich mitgeteilt, „wo die Glocken hängen“, es ist der Ruf zur Bekehrung – als Chance, den „wahren Glauben“ zu ergreifen, bevor die Unterwerfung vollzogen werden muss. Ein „Zeichen der Solidarität“ also im Dschihad, dem Bemühen, Allah Raum zu geben in allen privaten, politischen und gesellschaftlichen Bezügen. Wo der Ruf des Muezzins erschallt, herrscht nach muslimischer Lehre Allah.

Nun mag man einwenden, die meisten Muslime würden das nicht so eng sehen. Die Realität ist weniger schön: In Berlin-Neukölln beispielsweise kam es zu wilden Szenen, als der dortige Moschee-Verein am 3. April erstmals öffentlich den islamischen Gebetsruf erklingen ließ. Mehr als 300 Männer versammelten sich vor der Dar As-Salam-Moschee. Sie feierten den Muezzinruf als Sieg über die Ungläubigen. So lauteten jedenfalls viele Kommentare in den sozialen Medien. Sie skandierten „Allah ist groß“ und griffen die Polizisten an, die versuchten, die nicht genehmigte Versammlung aufzulösen. Die liberale Imamin Seyran Ates wertet die Ausschreitungen als „Vorboten eines Kulturkampfs“. Bevor es so weit kommt, sollten die Genehmigungen zum Muezzinruf besser wieder einkassiert werden. Dieses Element des Islams ist einfach zu laut, zu dominant, zu aufdringlich. Zur Religionsfreiheit gehört auch das Recht, nicht zwangsweise von anderen Glaubensüberzeugungen beschallt zu werden.

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