Pfarrer beginnt patriotisch und hört resigniert auf

Teilnehmer von Geschichts-Workshop des landeskirchlichen Zentralarchivs transkribieren Godramsteiner Kriegschronik des Ersten Weltkriegs

Die Mitarbeiterinnen des Zentralarchivs der Landeskirche Christine Lauer (Zweite von links) und Gesine Parzich (Zweite von rechts) im Workshop-Gespräch mit den Teilnehmern (von links): German Kempenich, Gerhard Hornberger und Martin Frey. Foto: pv

„Ich wollte wissen, wie Menschen vor 100 Jahren gedacht haben und warum sie sich blauäugig ins Verderben stürzen ließen.“ So begründete Martin Frey aus Hördt, warum er an einem Geschichts-Workshop des Zentralarchivs der pfälzischen Landeskirche über den Ersten Weltkrieg teilgenommen hat. Die vier Teilnehmer des Workshops haben eine Kriegschronik abgeschrieben, die Pfarrer Johann Jakob Bruch aus God­ram­stein in den Jahren 1914 bis 1919 über die Kriegsereignisse in seinem Dorf verfasst hat. Der Theologe, der von 1865 bis 1945 lebte, hat seine Aufzeichnungen in Deutscher Schrift geschrieben. Sie ist heute kaum noch lesbar für die Nachgeborenen, die in der Schule die lateinische Schrift erlernt haben.

Die Transkription des 42-seitigen Manuskripts sei für ihn nicht schwierig gewesen, nachdem er einen Kurs über alte Schriften im Zentralarchiv absolviert habe, sagte Martin Frey. Als Fachmann in der Informationstechnologie hat er mit dem Metier kaum zu tun. Doch sein Großvater Max Frey habe als Ortshistoriker in Hördt auch Feldpostbriefe von Kameraden verwahrt und ihm zu lesen gegeben. Das habe seine Neugier geweckt, die alte Schreibschrift auch lesen zu können, sagte der 40-Jährige.

Workshop-Teilnehmer Gerhard Hornberger aus Lambsheim bekannte, als ehrenamtlicher Archivpfleger der Gemeinde Lambsheim sei er mit dem Lesen alter Schriften vertraut. Auch er hat sich das Rüstzeug dafür in den Schriftkursen des Zentralarchivs angeeignet. Gern habe er zur Übung das Projekt mitgemacht, die Kriegschronik aus Godramstein zu transkribieren. Ihn habe der überzogene Patriotismus des Pfarrers überrascht. „Er vermittelte zu Anfang der Chronik den Eindruck, die Nachbarländer Frankreich, England und Russland seien neidisch auf die Wirtschaftskraft des Deutschen Reichs und hätten ihm den Krieg aufgezwungen“, sagte der 76-Jährige. Doch dies sei nur der Ausdruck der Grundhaltung der evangelischen Kirchen in Deutschland gewesen, die den protestantischen Staat vorbehaltlos im Ersten Weltkrieg unterstützten.

Hornberger hat eine Entwicklung in der Chronik des Pfarrers festgestellt. „Gegen Ende der Aufzeichnungen wirkte er resigniert“, so der Eindruck des Übersetzers. Bruch nehme Bezug auf das 400. Reformationsjubiläum am 31. Oktober 1917, das wegen des Weltkriegs kaum gefeiert wurde. „Wie wollten wir unsere Glocken läuten lassen!“, hatte der Pfarrer geschrieben – und bitter angefügt „Und nun waren die Glocken allermeist in den Krieg gezogen, unsere Brüder, Väter und Söhne, Gatten und Verlobte waren fort, teilweise schon gefallen oder im heißesten Ringen stehend, das die Weltgeschichte kennt, und ums Kränzewinden und Fahnenausstrecken war’s keinem zu tun“.

Bruch sei zudem enttäuscht gewesen, dass die Lebensmittelversorgung der Armen in der eigenen Kirchengemeinde nicht funktioniert, hat Hornberger festgestellt. „Die Begüterten hatten meist kein Herz für die Armen und ließen sich ganz von ihrer Selbstsucht leiten“, schreibt der Pfarrer.

Übereinstimmend sind die Teilnehmer des Workshops zu dem Schluss gekommen, dass Johann Jakob Bruch die Chronik offenbar am Ende des Ersten Weltkriegs geschrieben hat. „Sonst hätte er nicht bereits am Anfang der Chronik die 271 Kriegsteilnehmer aus God­ram­stein aufführen können mit genauen Hinweisen, wer von ihnen vermisst, gefallen oder in französischer oder englischer Gefangenschaft war“, erklärt Martin Frey.

Das Zentralarchiv der Landeskirche stellt Anfang Februar die Godramsteiner Kriegschronik von Pfarrer Johann Jakob Bruch und die Transkription der Teilnehmer des Geschichts-Workshops auf seine Internetseite: www.zentralarchiv-speyer.de. Noch bis zum 14. April zeigt das Archiv die Ausstellung „Die Evangelische Kirche der Pfalz und der Erste Weltkrieg (1914 bis 1929)“. dob

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