Wie sich Kinder den Tod vorstellen

Es geht bei der Konfrontation eines Kindes mit dem Tod zunächst darum, die Kinder mit ihren Bildern und Vorstellungen wahrzunehmen und zu verstehen.

Kindliche Vorstellungen vom Tod in ihrer Entwicklung

Was Erwachsene oft nicht wahrhaben wollen, ist aber seit Beginn der Forschungen auf diesem Gebiet belegt: Kinder denken häufig an den Tod und machen sich viele Gedanken über Leben und Sterben. Dabei entwickeln sich die Vorstellungen vom Tod bei jedem Kind individuell. Sie hängen von familiären und gesellschaftlichen Eindrücken, vom eigenen Erleben, von der Kommunikation über Glaubens- und Lebensfragen ab und formen sich kontinuierlich oder abrupt, je nach den persönlichen Erlebnissen des Kindes. Mit welchen Todeswirklichkeiten hat sich das Kind auseinandersetzen müssen? Waren es indirekte (Filme, Videos, die durch ihre Oberflächlichkeit eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema eher verhindern) oder eher beiläufig geäußerte (dazu gehören auch Euphemismen und Verklausulierungen wie „den Löffel abgeben“ oder „Einschlafen“) Todeserlebnisse, die ein Todesverständnis beeinflussten? Oder waren es die bedrohlichen direkten Todeserlebnisse? Musste es sich mit schmerzhaften Emotionen und Verlustängsten auseinandersetzen und hat es erlebt, dass man den Tod nicht rückgängig machen kann? Im Spiel lernen Kinder mit ihren Gedanken und Erlebnissen umzugehen und bereiten sich sogar auf Zukünftiges vor. Erlebtes und Beigebrachtes wird verarbeitet und reift zu Wissen und Vorstellungen heran. Weil aber diese Entwicklung sehr unterschiedlich ist, kann keine Regel aufgestellt werden, welches Bild sich genau ein Kind in einem bestimmten Alter Tod und Sterben macht. Gleichwohl kann man Phasen beschreiben, die sich überlappen können, die sich wiederholen können, die aber doch beschreibbar sind.

Das Kleinstkind lassen seine Ur-Ängste vor dem Unversorgtsein und der Trennung von der Bezugsperson ahnen, was Tod bedeutet. Bevor ein Kind nicht zwischen dem eigenen Ich und einer anderen Person unterscheiden und sich bildhaft erinnern kann, ist es ihm nicht möglich zu realisieren, dass jemand tot ist.

Ein Kind im Vorschulalter kann den Tod weder realistisch noch begrifflich erfassen. Es hat undeutliche Vorstelllungen vom Tod und glaubt, er könne rückgängig gemacht werden. Wer tot ist, lebt irgendwie weiter – nur anders. Der Tod ist eine Sonderform des Lebens. Das liegt daran, dass Kinder zwischen drei und sechs Jahren verschiedene Wirklichkeiten nicht unterscheiden können. Tot und lebendig, seelisch und materiell kann nicht differenziert werden. Ihr Zeitbegriff kommt ohne Vergangenheit und Zukunft aus. Sie kennen nur den Raum, in dem sie selbst jetzt und hier sich befinden. Den Tod beschreiben sie als Bewegungslosigkeit, als Schlaf oder Traum. Jeder kann selbst entscheiden, ob und wie lange man tot ist. Entlastend wirkt die Idee; über den eigenen Tod verhandeln zu können: „Wenn ich immer brav bin, dann werde ich nicht sterben.“ Tod in dieser Idee kommt also, wenn zwischen den Menschen etwas nicht in Ordnung war. Folglich kann man das auch wieder in Ordnung bringen! Ein anderer Gedanke, um die Todesangst zu bewältigen, ist: „Nur alte Menschen sterben (ich also noch nicht) und wir sowieso erst in 1000 Jahren“ (das sprechen sich zum Trost aber auch noch ältere Kinder aus). Für Kinder in diesem Alter kann jede Krankheit bedrohlich erlebt werden, denn in ihrer Vorstellung könnte auch jede Krankheit zum Tod führen. Neben diesen Ängsten sind die Kinder auch voller Forscherdrang. Sie wollen wissen: Was passiert da? Tot ist, wenn man kein Leben mehr spürt. Das Vorschulalter ist die Zeit der Persönlichkeitsbildung. Die Kinder entdecken ihren eigenen Willen und sie brauchen tragfähige Vertrauensverhältnisse, damit sie das Leben bejahen können. Wer das Leben bejahen kann, wird mit Todeserlebnissen produktiv (bejahend) umgehen können.

Im Laufe der Grundschulzeit wird es Kindern möglich, Sterblichkeit zu akzeptieren – die eigene Sterblichkeit allerdings noch nicht. Immer noch findet sich die Idee, Tod könnte rückgängig gemacht werden. Die Todesursache kann Alter, Krankheit und Gewalt sein. Es wird aber nicht realisiert, dass alles Leben stirbt. Oft wird der Tod personifiziert. Der Tod ist in kindlicher Vorstellung männlich, ein Skelett, ein Teufel oder ein Gespenst, ein Geist, manchmal auch ein freundlicher Todesengel. Langsam wächst die Erkenntnis, dass der Tod den Verfall des Körpers bedeutet und in der Natur eben so geschieht. Daher stellt sich die Frage, was denn weiter leben wird. Der Tod als Trennung von Leib und Seele ist in diesem Alter in der Regel noch nicht nachvollziehbar, denn Seele und Leib werden als Einheit gedacht. Zum Ende der Grundschulzeit wird das Zeitgefühl genauer und der kindliche Horizont weitet sich. Die Kinder entwickeln keine völlig neuen Vorstellungen, aber entfalten, was sie sich schon erworben haben. Die Kinder fragen zur eigenen Versicherung: Warum gibt es Sterben? Gibt es ein Weiterleben nach dem Tod? Wie kommen die Toten zu Gott? Wo bleibt meine eigene Person?

Beim Übergang zur weiterführenden Schule (10-12 Jahre) wird das Todesverständnis generalisiert und objektiviert. Nun kann die eigene Sterblichkeit akzeptiert werden. Aber drängender wird die Frage: Was kommt danach? Die Trennung von Leib und Seele ist jetzt vorstellbar; Todesangst ist im Vergleich zu anderen Altersstufen hier am geringsten ausgebildet. Das wird damit begründet, dass das Todes- vom Selbstverständnis abhängt. Eine Unterscheidung zwischen (Wolken-)Himmel und (Gottes-)Himmel ist durchaus denkbar, wobei auch Erwachsene diese nicht immer konsequent differenzieren. Mit zwölf Jahren kann ein Kind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterscheiden und das Raumgefühl ist voll ausgebildet. Der Tod wird als das natürliche Ende des Lebens akzeptiert, denn er betrifft alle. Das Thema „Tod und Sterben“ ist in der Zeit der Pubertät von großer Bedrohung, denn es wirkt als zusätzliche Verunsicherung. Die Jugendlichen wollen möglichst realistisch informiert werden und wirken oft „cool“. Dahinter stehen aber die gleichen Grundängste wie bei kleineren Kindern, nur fehlen jetzt die Verdrängungs- und Bewältigungsmechanismen der Kindheit.