Work-Life-Balance klingt hier wie Hohn

von Florian Riesterer

Florian Riesterer

Bis ins hohe Alter arbeiten, immer schön in die Rentenkasse einzahlen und sich dann in den wohlverdienten Ruhestand verabschieden: So sieht ein Arbeitnehmer in der Wunschvorstellung von Politikern und Volkswirtschaftlern aus. Doch das Bild hat Risse. Immer weniger Menschen arbeiten bis zu ihrer Regelaltersrente. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten des Jahrgangs 1953 bezog 2017 schon eine Altersrente – mit 64 Jahren erst, vermeldete der jüngst erschienene Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse (TK). Von den 63-Jährigen hatte sich bereits ein Drittel aus dem Beruf verabschiedet.

Klar ist, dass die Rentenlücke nicht geschlossen werden kann, indem das Renteneintrittsalter hochgeschraubt wird. Jeder Siebte quittiert seinen Job laut der Studie wegen Schwerbehinderung, Berufs- oder ­Erwerbsunfähigkeit. TK-Chef Jens Baas sieht deshalb die Versicherten und Unternehmer in der Pflicht. Sie sollen die Leistungsfähigkeit der Berufstätigen garantieren. Tatsächlich haben viele Unternehmen bereits erkannt, dass gesunde Arbeitnehmer langfristig den Profit hochhalten. Das Ergebnis: ­Gesundheitsmanagement im Betrieb, ­Achtsamkeitstrainings, Sabbaticals.

Studien zeigen aber auch: In den Genuss dieser Angebote kommen häufig diejenigen, die es sich finanziell ohnehin aussuchen können, ob sie ein paar Jahre vorher aus dem Beruf ausscheiden. Das ist ihr gutes Recht. Die anderen bekommen im Zweifel unbezahlten Sonderurlaub angeboten, ­können sich diese Auszeit aber schlichtweg nicht leisten. Oder sie haben berechtigte Angst, ihren Job zu verlieren, sollten sie ­länger fehlen. Deshalb kommen sie auch krank zur Arbeit. Work-Life-Balance muss in manchen Ohren wie Hohn klingen.

Meistgelesene Leitartikel & Kommentare