Wenn Politik zum blanken Zynismus wird

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

Noch nie war der Staatsapparat der USA so lange lahmgelegt gewesen wie in dem skurrilen Haushaltsstreit um 5,7 Milliarden Dollar für eine Mauer an der Grenze zu Mexiko. Europa mokiert sich derweil über den bösen Trump und macht dasselbe wie er.

Ursprünglich wollte sich US-Präsident Donald Trump seinen Herzenswunsch ja von den Mexikanern bezahlen lassen, doch dieses Wahlkampfgetöse hat er klammheimlich revidiert. Zwar stehen teils schon seit Jahren kilo­meter­lange Zäune an der Grenze, doch mit dem Mauerbau wurde noch nicht begonnen. Wenige Monate nach dem ersten großen Trail aus Mittelamerika haben sich inzwischen abermals Tausende Menschen auf den Marsch in den reichen Norden gemacht. Die USA schotten sich ab und überlassen Mexiko mit der Sorge um diese Menschen allein.

Doch in Europa ist es kaum anders. Für Bundesinnenminister Horst Seehofer und seine CSU ist es allen Ernstes eine Erfolgsmeldung, dass die Zahl der Asylanträge in Deutschland zurückgeht. Abzüglich der abgeschobenen oder freiwillig heimgekehrten Menschen kamen 2018 noch 165000 Flüchtlinge, Asylbewerber oder nachgereiste Angehörige nach Deutschland. 2016 haben fast fünfmal so viele Menschen einen Asylantrag gestellt.

Ist die Welt denn seitdem sicherer geworden? Klopfen weniger Leute an die Tore der Festung Europa, weil es weniger Armut, Kriege und Hunger gibt? Mitnichten. Wir Europäer haben wenig bis nichts gegen das Elend unternommen, das die Menschen nötigt, sich auf den mühsamen und gefährlichen Weg nach Norden zu machen. Aller Aufwand gilt dem Bestreben, diesen Weg zu versperren.

Die Botschaft der Bundesregierung lautet nicht mehr: Wir schaffen das! Vielmehr sagt sie den Verfolgten, den Kriegsflüchtlingen und Hungerleidern klipp und klar: Ihr schafft das nie. Bleibt, wo ihr seid! Sie ermuntert das Wahlvolk nicht mehr zu helfen, sondern beschwichtigt es: Wir halten euch die Hungerleider vom Leib.

Aber die Angst vor dem sicheren Tod durch Armut und Hunger oder Krieg ist stärker als die Furcht vor den möglichen Gefahren auf dem Weg ins sichere Europa. Abertausende Flüchtlinge sitzen in Griechenland fest und vegetieren dort unter erbärmlichen Bedingungen, doch sie zählen noch zu den Glücklichen, die es wenigstens irgendwie nach Europa geschafft haben. Andere werden in der Türkei festgehalten, Präsident Erdogan lässt sich das teuer bezahlen. In Nordafrika sind die Bemühungen, Flüchtlingsboote am Auslaufen zu hindern, weit weniger erfolgreich – mit einem unregierbaren Land wie Libyen lassen sich solche Vereinbarungen nicht so leicht treffen wie mit dem Autokraten in Ankara.

Die Not in der Welt lässt sich nicht dadurch lösen, dass man alle herbittet, die sie erleiden. Doch es ist blanker Zynismus, die Notleidenden ihrem Schicksal zu überlassen und das als erfolgreiche Politik zu verkaufen.

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