Viel Luthertum und wenig reformiert

Verfassungsänderung um das Bekenntnis der pfälzischen Landeskirche stiftet mehr Verwirrung als Klarheit

Hat eine Änderung der Verfassung zum Bekenntnisstand beschlossen: Landessynode der pfälzischen Landeskirche. Foto: Landry

Als im Jahr 1818 die Vereinigte-protestantisch-evangelisch-christliche Kirche der Pfalz als Vereinigung der vormaligen Reformierten und Lutheraner entstand, wurde alles Nötige in der Vereinigungsurkunde geklärt. In dieser Urkunde stehen zwei folgenreiche Sätze. Der erste dieser Sätze behauptet, dass „es zum innersten und heiligsten Wesen des Protestantismus gehört, immerfort auf der Bahn wohlgeprüfter Wahrheit und echt religiöser Aufklärung, mit ungestörter Glaubensfreiheit mutig voranzuschreiten“.

Das in diesem Satz ausgedrückte Programm des Unionsprotestantismus bedeutet, dass das Gewissen des einzelnen Christen für die einzige wahrheitsfähige Instanz gehalten wird. Nun braucht aber jedes Gewissen, um sich zu schärfen, ein Gegenüber, und dieses Gegenüber ist dem religiösen Gewissen die Heilige Schrift und die hergebrachten kirchlichen Bekenntnisse.

Und hier wird der zweite folgenreiche Satz wichtig. In seiner Fassung aus dem Jahr 1821 lautet er: „Die protestantisch-evangelisch-christliche Kirche hält die allgemeinen Symbola und die bei den getrennten protestantischen Konfessionen gebräuchlichen symbolischen Bücher in gebührender Achtung, erkennt jedoch keinen anderen Glaubensgrund noch Lehrnorm als allein die heilige Schrift.“

Die in diesem Satz ausgedrückte Bekenntnisgrundlage gibt der pfälzischen Landeskirche eine einzigartige Stellung im gesamten deutschen Protestantismus. Keine andere Kirche hat mit der Ausdeutung des Wesens des Protestantismus, nämlich der Ermöglichung von ungestörter Glaubensfreiheit, so konsequent ernst gemacht. Glaubensgrundlage und Lehrnorm ist allein die Heilige Schrift, und sämtliche altkirchlichen und reformatorischen Bekenntnisschriften sind gebührend zu achten. Die Inhalte dieser Bekenntnisschriften sind demnach in der pfälzischen Unionskirche Diskussionsgrundlage für theologische Debatten, aber eben nicht zum Glauben vorgegebene Lehrgegenstände, wie dies in lutherischen und reformierten Kirchen mit den dort in der jeweiligen Kirchenordnung genannten Bekenntnisschriften der Fall ist.

Aber die offene Formulierung des Bekenntnisstands der Landeskirche hatte zu fast allen Zeiten Gegner, die eine verbindlichere Formulierung des Bekenntnisses anstrebten. Auf der Generalsynode 1853 kam es dann auch zu einem denkwürdigen Beschluss, der bis heute eine Diskussion über den tatsächlichen Bekenntnisstand der pfälzischen Landeskirche am Laufen hält. Damals wurde beschlossen, dass „in der Ausgabe der Augsburgischen Confession von 1540 sich der Consensus darstelle, welcher zwischen der Augsburgischen Confession von 1530, dem Heidelberger Katechismus und dem kleinen lutherischen Katechismus, als den Hauptbekenntnisschriften der evangelischen Gesamtkirche Deutschlands, von welcher unsere vereinigte Kirche der Pfalz einen Teil bildet, stattfindet“.

Damit wurde allerdings nicht beschlossen, die von Philipp Melanchthon verfasste sogenannte „Confessio Augustana variata“ von 1540 zum Pfälzer Unionsbekenntnis zu machen. Es wurde lediglich festgestellt, dass in dieser gegenüber der Urfassung von 1530 veränderten Bekenntnisschrift vor allem die dort geäußerte Lehre vom Abendmahl genau dem im Paragrafen 5 der Unionsurkunde dargelegten Abendmahlsverständnis entspreche. Der damalige Hauptverantwortliche für den Beschluss, der reformierte Erlanger Theologieprofessor Heinrich August Ebrard, hatte festgestellt, dass der Beschluss eigentlich nur eine dogmengeschichtliche Feststellung sei und keine Übernahme eines Bekenntnisses in die Kirchenordnung. Dort tauchte die Confessio Augustana variata tatsächlich niemals auf.

In der bis heute gültigen Verfassung der Evangelischen Kirche der Pfalz aus dem Jahr 1920 wird deshalb folgerichtig weder die Confessio Augustana variata noch ein anderes Bekenntnis explizit genannt. Der Paragraf 2 der Kirchenverfassung klärt die Bekenntnisgrundlage der Landeskirche mit dem Hinweis auf die Unionsurkunde: „Das Bekenntnis der Protestantischen Landeskirche ist ausgesprochen in ihrer Vereinigungsurkunde und deren gesetzlichen Bestimmungen.“

Nach einer etwa zwei Jahre andauernden Debatte hat die Landessynode auf ihrer Frühjahrstagung 2019 eine Änderung dieses Satzes beschlossen. Der neue Paragraf 2 lautet jetzt: „Das Bekenntnis der Protestantischen Landeskirche ist ausgesprochen in ihrer Vereinigungsurkunde. Sie hält die altkirchlichen sowie die in den lutherischen und reformierten Kirchen gebräuchlichen Bekenntnisse in gebührender Achtung, erkennt jedoch keinen anderen Glaubensgrund noch Lehrnorm an als allein die Heilige Schrift.“

Diese Verfassungsänderung enthält zwei Bestimmungen, die den Bekenntnisstand der pfälzischen Landeskirche vordergründig nicht zu verändern scheinen. Zum einen wurde der Hinweis auf die gesetzlichen Bestimmungen der Vereinigungsurkunde entfernt. Zum anderen aber wurde der Paragraf 3 der Vereinigungsurkunde in den Paragrafen 2 der Kirchenverfassung integriert, allerdings mit einer kleinen Änderung: Die „getrennten protestantischen Konfessionen“ werden nun näherbestimmt als die „lutherischen und reformierten Kirchen“. Das ist scheinbar nur eine Präzisierung, wird aber durch die den Mitgliedern der Synode vorgelegte Begründung zu einer theologischen Engführung, die dem Geist der Pfälzer Union widerspricht.

In der Begründung heißt es nämlich: „Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche folgen der Konzeption des Konkordienbuchs von 1580.“ Dann folgt die Aufzählung sämtlicher Bekenntnisse und Traktate, die Eingang in die Sammlung des Konkordienbuchs gefunden haben. Die Aufzählung der reformierten Bekenntnisschriften reduziert sich auf den Heidelberger Katechismus und die Theologische Erklärung von Barmen vom 31. Mai 1934, die eigentlich gar kein reformiertes Bekenntnis ist. Glücklicherweise merkten einige Synodale, dass hier etwas schiefläuft, und sorgten dafür, dass in die Begründung nachträglich noch die Confessio Augustana variata von 1540 als gleichberechtigte in gebührender Achtung zu haltende Bekenntnisschrift genannt wird.

Diese Neufassung des Paragrafen 2, die laut Begründung den Bekenntnisstand der Landeskirche präzisieren und deren Identität stärken will, dient allerdings eher der Verwirrung. Befremdlich wirkt der Hinweis auf das Konkordienbuch als in Achtung zu haltender Bekenntnisstand der lutherischen Kirchen. Die in dieser Sammlung mitaufgenommene Konkordienformel von 1577 gilt weniger als eine reformatorische Bekenntnisschrift, sondern als ein Dokument der lutherischen Orthodoxie, das vor allem gegen den reformierten Heidelberger Katechismus verfasst wurde. Nur wenige lutherische Landeskirchen haben dieses Dokument als Bekenntnisgrundlage in ihrer Kirchenordnung, weil es ein Ergebnis der nachreformatorischen Religionskriege und keine Bekenntnisschrift ist wie etwa Luthers Kleiner Katechismus.

Auf der anderen Seite befremdet es, dass in der Begründung als reformierte Bekenntnisschrift lediglich der Heidelberger Katechismus genannt wird, bei dem einige wichtige reformierte Lehrgegenstände wie etwa die Prädestinationslehre völlig fehlen. Die reiche Bekenntnistradition der reformierten Kirchen etwa in der Schweiz und in den Niederlanden gerät dabei völlig aus dem Blick.

Aber vielleicht hat die Landessynode mit dieser Verfassungsänderung noch nicht das letzte Wort zum Bekenntnisstand der pfälzischen Kirche gesprochen. Die Debatte darüber, welche Bekenntnisse in gebührender Achtung zu halten sind, ist jetzt eröffnet und darf mit ungestörter Glaubensfreiheit geführt werden. Martin Schuck

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