Soziale Kälte macht den Populismus stark

von Klaus Koch

Klaus Koch

„Wir schaffen das“, ist wohl der Satz ihrer langjährigen Kanzlerschaft, den Angela Merkel am liebsten ungesagt machen würde. Auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise war dieser Satz Ausdruck eines wirtschaftlich starken Landes, das mit Zuversicht, intakten politischen Strukturen und einer engagierten Zivilgesellschaft in die Zukunft blickte. Das ist nun gerade einmal drei Jahre her. Und alles ist anders. Angst liegt über dem Land, politische Strukturen lösen sich auf, ein arrogant-vorlauter Behördenchef bringt die Regierung an den Rand des Scheiterns.

Dennoch war Merkels Satz nicht falsch. Im Rückblick betrachtet hätte sie natürlich stärker betonen müssen, dass es schwer wird, die Belastungen durch die Migration zu schultern, dass es teuer wird und nicht ohne Rückschläge bleibt. Aber objektiv betrachtet spricht derzeit vieles dafür, dass es Deutschland zumindest materiell schafft. Zehntausende junger Flüchtlinge haben einen Ausbildungsplatz, die Aufmerksamkeit der deutschen Politik für die Fluchtursachen in armen und vom Krieg gepeinigten Ländern ist gestiegen, ein vernünftiges Einwanderungsgesetz wird ebenso diskutiert wie Maßnahmen gegen unkontrollierte Zuwanderung. Außerdem hat Deutschland die geringste Arbeitslosigkeit seit Jahren und baut seine Schulden ab. Das alles spricht dafür, dass die Politik funktioniert.

Doch all diese materiellen Erfolge helfen nichts, wenn sich die Deutschen mental schlecht fühlen. In Umkehrung eines Satzes von Konrad Adenauer könnte man sagen: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst. Deutsche Populisten, obwohl weder mit großen Geistern noch charismatischen Rednern gesegnet, bestimmen die Debatte. Sie machen Migration und vor allem Migranten zur Mutter aller politischen Probleme und finden sogar beim Bundesinnenminister Zustimmung. Im Umkehrschluss heißt das: Abschottung und Nationalismus sind die Mütter aller politischen Lösungen. Das ist objektiv falsch. Bereits 2013, zwei Jahre vor Merkels Satz, saß die AfD in vielen Landesparlamenten. Damals waren noch Europa und der Euro die Mütter aller Probleme.

In einer komplizierten Welt wollen die Menschen glauben, die Probleme seien auf ein bis zwei Ursachen zurückzuführen. Das nutzt den Populisten. Und es nutzt ihnen, dass sie die beiden ehemals großen Parteien als einheitliche Angriffsfläche darstellen können, weil sie wirklich kaum noch unterscheidbar sind. Schröders Agenda und das neoliberale Hochamt des vom CDU-Parteitag 2003 beschlossenen Parteiprogramms haben gemeinsam die soziale Kälte im Land verstärkt. Und da die beiden Großen damals wirklich noch groß waren, gab es keine Opposition gegen diese Entwicklung. Damit begann die Spaltung der Gesellschaft, der Anstieg von Armut und prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen in einem reichen Land – und der Aufstieg des Populismus.

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