Solidarisches Europa macht keine Hoffnung

von Florian Riesterer

Florian Riesterer

Solidarität. Das Wort hat Hochkonjunktur dieser Tage, wenn es um die Zukunft europäischer Flüchtlingspolitik geht. Ein solidarischeres Europa am Horizont sieht Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte nach dem Migrations-Gipfel der Europäischen Union, der den Kurs in der Asylpolitik deutlich verschärft. „Heute sei ein wichtiger Tag, weil er zeige, dass Solidarität ein immer noch weitverbreitetes Gefühl sei“, verkündete Roberto Ammatuna, Bürgermeister des sizilianischen Pozzalo, als das Containerschiff Alexander Maersk mit Flüchtlingen an Bord nach Tagen der Ungewissheit in dessen Hafen anlegen konnte.

Laut Duden bezeichnet Solidarität „unbedingtes Zusammenhalten mit jemandem aufgrund gleicher Anschauungen und Ziele“. Mit den Flüchtlingen zeigt sich Europa insofern nicht solidarisch, wenn es tut, was in Brüssel vereinbart wurde: mit Auffangzentren innerhalb Europas und einer verstärkten EU-Grenzschutzbehörde die Festung Europa auszubauen. Auch Sammellager in Afrika werden geprüft, die Länder dort lehnen allerdings bisher ab.

Nein, ein solidarisches Europa bedeutet aktuell nur die Bekräftigung, sich innerhalb der EU gegenseitig beim Aufnehmen schutzbedürftiger Flüchtlinge helfen zu wollen. Auf freiwilliger Basis, versteht sich. Eine Flüchtlingsquote ist vom Tisch. Insofern ist es auch mit dieser Form von Solidarität nicht sonderlich weithin. Im Gegenteil: Rechtsgerichtete Regierungen wie ­Polen und Ungarn sehen sich in ihrem Kurs bestätigt und werden wohl auch künftig keine Flüchtlinge aufnehmen. Dazu kommt eine verzerrte Wahrnehmung der eigenen Situation. Zwar befinden sich laut UN-Flüchtlingswerk neun von zehn Vertriebenen außerhalb Europas. Andere Länder engagieren sich ungleich stärker. Dennoch wetterte Ungarns Ministerpräsident noch im März in Budapest: „Afrika will uns die Tür eintreten.“

Solidarität funktioniert nur unter Gleichen. Deshalb taugt sie für das Beschreiben des Verhaltens der EU-Länder zu den Flüchtlingen nicht. Es sei denn, man sieht nicht den Flüchtling, sondern den Menschen. Nicht als Bittsteller oder „Menschenfleisch“, so Italiens Innenminister Matteo Salvini zynisch, sondern in all seiner Würde. Diese Solidarität, die Bürgermeister Ammatuna beschwörte, scheuen die EU-Länder, weil sie nach Horst Seehofers Worten einen „Shuttle zwischen Libyen und Südeuropa“ fürchten.

An den Reisen quer durch Afrika bis ans Mittelmeer, auf denen Tausende sterben, können sie mit dieser Politik freilich nichts verändern. Es ist eine Verwaltung des Elends auf der einen Seite und eine Sicherung des Wohlstands auf der anderen. „Ein Geben und Nehmen“, wie Merkel in Bezug auf das Abkommen mit Drittländern erklärte. Von einer solchen europäischen Solidarität dürfen sich Flüchtlinge nichts erhoffen. Und gerade das ist wohl das Bild, das nach außen gesendet werden soll – ganz solidarisch.

Meistgelesene Leitartikel & Kommentare