Professor Ratzingers Vorlage für Franziskus

von Martin Schuck

Martin Schuck

Der Medienrummel war gewaltig: Da wurde gemutmaßt, der emeritierte Papst Benedikt XVI. wolle seinem Nachfolger Papst Franziskus in die Parade fahren, um zu verhindern, dass dieser einer Lockerung des Pflichtzölibats für Priester das Wort reden könnte. Auch von einer Instrumentalisierung des früheren Papsts durch den Kurienkardinal Robert Sarah war die Rede. Dieser hatte in einem französischen Verlag ein Buch veröffentlicht, in dem der Zölibat verteidigt wird. In diesem Buch befindet sich ein Beitrag des emeritierten Papstes; der Einband des Buchs erweckte aber den Eindruck einer gemeinsamen Autorenschaft von Benedikt und Sarah für das gesamte Werk.

Beim Lesen des von Benedikt verfassten Kapitels, das mittlerweile auf Deutsch veröffentlicht wurde, wird klar, dass darin kein Affront gegen Franziskus erkannt werden muss. Benedikt macht darin nichts anderes, als über das Wesen des Priesteramts zu reflektieren. Dabei leitet er das Priesteramt der katholischen Kirche direkt aus dem Alten Testament her. Dort gebe es Priester, die mit dem Dienst am Tempel beauftragt seien, und es gebe Propheten, die den Kult am Tempel durch die Priester kritisierten. In Tod und Auferstehung Jesu Christi sehe er diese beiden Linien miteinander verschränkt, und er erkenne deshalb in den Weiheämtern der katholischen Kirche die alttestamentlichen Ämter des Hohepriesters, der Priester und der Leviten. Dieses neue Vorzeichen sei der Tod und die Auferstehung Jesu Christi, der im Johannesevangelium und im Hebräerbrief Benedikt zufolge eine hohepriesterliche Funktion habe.

Auch den Zölibat leitet Benedikt aus dem Alten Testament ab. Zum Bewusstsein Israels habe es gehört, dass Priester dann, wenn sie mit dem Kult zu tun haben, sich in sexueller Enthaltsamkeit üben sollten. Da der katholische Priester aber täglich durch die Eucharistie mit dem Kult zu tun habe, sei „die funktionale Enthaltsamkeit von selbst zu einer ontologischen geworden“. Mit anderen Worten: Die Pflicht des Priesters, täglich die Eucharistie zu zelebrieren, lässt ihm überhaupt keine Möglichkeit, eine Ehe zu führen.

Das alles sind natürlich gewagte theologische Herleitungen, die nirgendwo dogmatisiert und damit verpflichtend zu glauben wären. Aber der Professor Joseph Ratzinger war immer ein kreativer Theologe, und deshalb schafft er es auch noch im hohen Alter, in der Kirchengeschichte gefällte Entscheidungen als objektive Wahrheiten darzustellen. In seiner Zeit als Papst kam das nicht immer gut an. Deshalb braucht sich der aktuelle Papst nicht vom emeritierten beeindrucken zu lassen. Will er am Amazonas geeignete verheiratete Männer hilfsweise für das Priesteramt zulassen, um den dortigen Mangel zu beheben, kann er die Argumentation seines Vorgängers umdrehen und erklären, dass diese ja nicht täglich die Eucharistie zu feiern hätten.

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