Predigt ist kein politischer Aufruf

von Martin Schuck

Martin Schuck

Zu den Standardklagen vieler Politiker an die Adresse der Kirche gehört der Vorwurf, Predigten prominenter Kirchenvertreter mischten sich zu sehr in die Tagespolitik ein. Und auch so manches Gemeindemitglied ­ärgert sich über den Pfarrer auf der Kanzel, weil er mal wieder nur über Politik gesprochen hat. Andere halten dagegen, eine Predigt ohne politische Botschaft sei letztlich wertlos, weil sie dann nicht im Sinne Jesu sei, der ja auch die politischen Zustände ­seiner Zeit ­angeprangert habe.

Natürlich darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Themen Gender, Klima und Flüchtlinge als die neue Dreifaltigkeit des Protestantismus Bekenntnisrang erhalten. Allerdings kann bei Menschen, die nur gelegentlich einen Gottesdienst besuchen, genau dieser Eindruck entstehen, wenn sie an einen besonders meinungsstarken Pfarrer geraten. Und tatsächlich hat sich der Protestantismus niemals gescheut, politisch zu sein; im Kaiserreich war er staatsnah und spätestens unter dem Einfluss der Politischen Theologie um 1968 mehrheitlich links orientiert.

Nun ist es unbestritten, dass die Verkündigung der Frohen Botschaft aus sich selbst heraus eine politische Wirkung hat – eben weil es eine Botschaft ist, die aus falschen Bindungen und Abhängigkeiten befreit. Die Grenze ist jedoch dort überschritten, wo im Namen der Theologie Urteilskompetenz über politische Fragen angemaßt wird. Wenn Pfarrer von einem „Wächteramt der Kirche“ der Gesellschaft gegenüber sprechen oder ihre tagespolitischen Kommentare auf der Kanzel als prophetische Rede bezeichnen, dann setzen sie sich einem bestimmten Verdacht aus: dass sie nämlich unter dem Deckmäntelchen der prophetischen Rede nur die eigene Rechthaberei verdecken wollen.

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