Politik ist keine Therapie

von Klaus Koch

Klaus Koch

Angst wohin man schaut. Die Angst vor dem Islam oder vor dem sozialen Abstieg treibt Tausende auf die Straßen. Aus Angst vor ­Anschlägen verbieten die Behörden eine ­solche Demonstration. Auf der anderen Seite haben muslimische Migranten Angst vor den Demonstranten, die angeblich Angst vor ­ihnen haben, und trauen sich nicht mehr auf die Straße, schicken ihre Kinder nicht mehr zur Schule. Und letztlich haben große Teile der Gesellschaft Angst, weil sie nicht wissen, was da passiert zwischen den Kul­turen und wie das alles weitergeht.

Die Politik, so schreiben und sagen schlaue Analytiker des Weltgeschehens, müsse die Ängste der Menschen ernst nehmen. Nur welche Ängste? Die Ängste der Demonstranten, der Migranten, der Gegendemonstranten oder der sich unbehaglich fühlenden Unbeteiligten? Politiker neigen dazu, jede gesellschaftliche Irrationalität mit großem Aktionismus aufzugreifen, um in der Wählergunst zu punkten. Doch nach Umweltkatastrophen, Lebensmittelskandalen oder Gewaltverbrechen versanden die politischen Debatten schnell wieder, wenn das Thema aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwindet und die nächste Angstwelle übers Land schwappt.

Politik ist aber keine kurzfristige Psychotherapie für eine verunsicherte Gesellschaft. Politiker sollten die Ängste nicht aufnehmen, sondern ihnen entgegentreten, reale Probleme benennen und langfristige Lösungen anbieten. Deutschland ist eines der sichersten und freisten Länder der Welt. Und auch die schärfsten Gesetze garantieren keine 100-prozentige Sicherheit, können aber Freiheit einschränken. Das sind die Fakten, auf deren Grundlage diskutiert werden muss. Alles andere verunsichert die Menschen; und das schürt neue Ängste.

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