Neue Namen der Allwissenheit

von Martin Schuck

Martin Schuck

Ob Kanzlerin Angela Merkel wohl immer noch an ihrer Meinung festhält, Ausspähen unter Freunden, das ginge nicht? Jetzt ist öffentlich geworden, dass nicht nur der amerikanische Inlandsgeheimdienst NSA, sondern auch der Bundesnachrichtendienst (BND) hinter allem und jedem hergeschnüffelt hat. Dabei ging es nicht nur um das Abhören französischer Politiker bis hin zum Staatspräsidenten und der führenden Repräsentanten der Europäischen Union. Zumindest die NSA hat auch jahrelang Wirtschaftsspionage betrieben und Informationen über europäische Rüstungskonzerne gesammelt.

Langsam wird deutlich, dass die islamistischen Anschläge vom 11. September 2001 mehr zerstört haben als zwei Hochhaustürme und einige tausend Menschenleben. Sie haben eine Kultur des Vertrauens und der gegenseitigen Achtung zerstört, die zumindest zwischen Westeuropa und den Vereinigten Staaten das politische Miteinander jahrzehntelang geprägt hat. Inzwischen misstraut jeder jedem, und es klingt wie Hohn, wenn weiterhin von einer „atlantischen Wertegemeinschaft“ gesprochen wird.

„Herr, du erforschest mich | und kennest mich. | Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; | du verstehst meine Gedanken von ferne. | Ich gehe oder liege, so bist du um mich | und siehst alle meine Wege.“ Für den Menschen, der diese Worte des 139. Psalms gesprochen hat, war es tröstlich und hilfreich, Gott als alleinigen Mitwisser der eigenen Gedanken um Hilfe bitten zu können. In Zeiten elektronischer Abhörskandale geht die Sicherheit verloren, dass wirklich nur Gott uns erforscht und unser Innerstes kennt. Die Allwissenheit und die Allgegenwart bekommen viele neue von Menschen erfundene Namen. Diese bitten wir besser nicht um Hilfe.

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