Liebe und Hass im Heiligen Land

von Hartmut Metzger

Hartmut Metzger

Wer in diesen Tagen durch Palästina reist – also durch den Staat Israel und die Gebiete der Palästinenser – spürt eine relative Ruhe. Aber die zeitweise Abwesenheit von Krieg und Gewalt macht noch lange keinen Frieden: nicht für Israel, wo ultraorthodoxe ­Juden in Jerusalem die Straßen blockieren und Steine werfen, weil sie – wie die anderen Staatsbürger auch – Wehrdienst leisten sollen; nicht für Palästina, wo die große Mauer in Bethlehem und in Beit Jala Oliven­haine und Privatgrundstücke durchschneidet, um die jüdischen Siedlungen vor den palästinensischen Nachbarn zu beschützen.

Die Situation ist absolut verrückt. Unter dem Druck der ultraorthodoxen Juden macht die aggressive Siedlungspolitik Israels jede Hoffnung auf Frieden zunichte. Sie gießt die Machtlosigkeit der Palästinenser in Beton. Mit ihr nimmt Israel Palästina in Besitz. Besonders grell zeigt sich das in Hebron. Die uralte Stadt liegt 30 Kilometer südlich von Jerusalem, zählt 200000 Einwohner und beherbergt in ihrer Mitte eine israelische Siedlung: geschützt von Stahl und Stacheldraht, Mauern und israelischen Soldaten in voller Kampfmontur. Selbst hier ist es in diesen Tagen relativ ruhig.

Das verwundert umso mehr als jener folgenreiche Brief, der schließlich zur Gründung des jüdischen Staats führte, am 2. November vor 100 Jahren geschrieben wurde. Die 67 Worte des britischen Außenministers Arthur Balfour sind ein Meisterwerk der Zweideutigkeit und gelten heutzutage als einer der größten Fehler in der britischen Kolonialgeschichte. Zum einen versichert Balfour den Zionisten, sich für eine nationale Heimstätte des jüdischen Volks in Palästina einzusetzen. Zum anderen heißt es in diesen Zeilen, dass „nichts unternommen werden soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nicht jüdischen Gemeinschaften … infrage stellen könnte“.

Die Palästinenser machten 1917 aber noch 90 Prozent der Bevölkerung in Palästina aus. Als am 14. Mai 1948 das britische Mandat über Palästina endete und der Staat Israel ausgerufen wurde, begann folgerichtig mit einem Angriff der arabischen Nachbarn noch in der ersten Nacht der erste Krieg. Ihm folgten die Sueskrise (1956/1957), der Sechstagekrieg (1967), der sogenannte Abnutzungskrieg (1967 bis 1970) und der Jom-Kippur-Krieg (1973) – gefolgt von fünf militärischen Operationen im ­Libanon sowie unter anderem der Ersten (1987 bis 1993) und der ­Zweiten Intifada (2000 bis 2005).

Vor diesem Hintergrund ist es tatsächlich ruhig in Palästina. Solange aber ultraorthodoxe Juden die Politik vor sich hertreiben, neue Siedlungen neues Unrecht schaffen, sich alte Palästinenser in ihrer Opferrolle wohlfühlen und mit dem Koran in der Hand die Jugend instrumentalisieren, hat Frieden keine Chance. Juden und Palästinenser lieben dieses Land. Fast alle hassen das, was dort geschieht.

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