Kirchentag heute: Wir retten die Welt

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

Früher flogen beim Kirchentag die Fetzen, einmal sogar Stühle. Doch gestritten, gerungen um das bessere Argument, die richtige Sicht oder eine kluge Idee wird dort schon lange nicht mehr. Man ist sich einig. Auch in Dortmund hat sich in kaum einer Halle ernsthaft Widerspruch geregt. „Wir sind die Guten, wir retten das Klima, die Umwelt, die Flüchtlinge, die Vielfalt der Kulturen und den Weltfrieden“ – dieses Transparent schwebte unsichtbar fünf Tage lang über der Stadt.

Das ist kein Wunder. Die beiden ehedem großen Volksparteien Union und SPD haben sich aneinander bis zur Verwechselbarkeit angenähert. Ihre Vorstellungen von Staat und Gesellschaft unterscheiden sich nicht mehr grundsätzlich, sondern allenfalls in den Nuancen ihrer Ausgestaltung. Und die einstige grüne Bürgerschreckpartei koaliert fröhlich sowohl mit den Roten als auch mit den Schwarzen oder gar den Gelben, je nach Wahlergebnis. Wer soll sich da beim Stelldichein der Politiker auf dem Kirchentag noch mit wem streiten, und worüber? Selbst der hochgelobte Grünen-Chef Robert Habeck, der sich für zu belesen hält, um an Gott glauben zu können, erhielt für banale Worte großen Beifall.

Konservative Christen mischen beim Kirchentag ebenfalls brav mit. Allenfalls schauen sie ein wenig irritiert auf Veranstaltungen wie das Vulvenmalen und ähnliches Gendergedöns, die doch so rein gar nichts mit dem wahren Wort Gottes zu tun zu haben scheinen. Aber Alarm schlagen sie wegen so etwas schon lange nicht mehr. Und einstige Reizthemen wie das gemeinsame Abendmahl oder der Zölibat bringen Protestanten und Katholiken nicht länger auseinander. Beide wissen, dass sie dabei Geduld miteinander haben müssen.

Die bösen Buben und motzigen Mädels von der AfD aber dürfen nicht mitspielen. Mögen sie sich deswegen auch „ausgegrenzt“ fühlen, wie die Partei lamentiert – es ist gut so. Sechs Jahre hatten die blau gefärbten Braunen Zeit, sich glaubhaft und nachdrücklich von Rechtsextremen, von Nazis, von Pegida und allen übrigen Feinden der Demokratie zu distanzieren. Doch sie haben es nicht vermocht, womöglich nie gewollt. Im Gegenteil: Mehr und mehr geben dort die Höckes den Ton an. Allzu viel Toleranz gegenüber den Feinden der Toleranz aber nährt letztlich nur die Intoleranz.

Etwas brenzlig könnte es für die evangelische Kirche im Nachtrag zum Kirchentag dennoch werden. Eine ­Resolution zum Schicksal der Flüchtlinge fordert die Kirche auf, ihren ­vielen Worten auch Taten folgen zu lassen und selbst ein Schiff zur Seenotrettung im Mittelmeer auslaufen zu lassen. Auch das lässt sich leicht fordern, solange die Resolutionäre selbst nicht mit an Bord gehen. Sollte die EKD aber tatsächlich ein Schiff schicken – dann bitte mit prominenter Besatzung: Margot Käßmann als Mutter Theresa und Heinrich ­Bedford-Strohm als heiliger Franz.

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