Im Kaiserdom ökumenisch dem Kriegsende gedacht

Bischof und Kirchenpräsident erinnern an Mitschuld ihrer Kirchen – „Nie wieder Krieg“ als Mahnung für Frieden und Versöhnung bewahren

Anlässlich des Kriegsendes vor 75 Jahren haben Bischof Wiesemann und Kirchenpräsident Schad an das Leid und Grauen erinnert, das Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus durch Völkermord und Weltkrieg erlitten haben. Foto: Landry

75 Jahre Kriegsende im Zeichen der Corona-Krise: Der Gottesdienst im Speyerer Kaiserdom wurde live übertragen. Foto: Landry

Mit einem ökumenischen Gottesdienst im Speyerer Kaiserdom haben Kirchenpräsident Christian Schad und Bischof Karl-Heinz Wiesemann an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren erinnert. Auch die evangelische und die katholische Kirche trügen eine Mitschuld am Krieg, weil sie sich nicht entschlossen genug gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime gewendet hätten, sagten die beiden leitenden Geistlichen am vergangenen Wochenende in einer Dialogpredigt vor geladenen Gästen. Wichtig sei es, die Erinnerungen der immer weniger werdenden Zeitzeugen als eine Mahnung für „Nie wieder Krieg“ zu bewahren. Der Gottesdienst wurde live über die digitalen Präsenzen von Bistum, Landesskirche und KIRCHENBOTE übertragen.

Wenn die Menschen die Erinnerungen der Zeitzeugen miteinander teilten, könnten die Verwundungen der Vergangenheit heilen und wahrer Friede und Versöhnung wachsen, betonten Schad und Wiesemann. Sie erinnerten an die bis zu 65 Millionen Toten des Zweiten Weltkriegs, der am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation Nazi-Deutschlands endete. Darunter seien sechs Millionen Juden gewesen, aber auch Sinti und Roma, Kranke, Behinderte sowie Menschen mit einer anderen politischen Einstellung oder sexuellen Orientierung. Schad und Wiesemann dankten den europäischen Nachbarn und besonders Frankreich dafür, dass sie den Deutschen nach Kriegsende die Hand zur Versöhnung reichten.

Die meisten Protestanten in der Pfalz hätten 1933 die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler begrüßt, sagte Kirchenpräsident Schad. Die „Selbstgleichschaltung“ der pfälzischen Landeskirche, die Abschaffung der presbyterial-synodalen Ordnung sowie die Gewaltmaßnahmen gegen Juden und Oppositionelle hätten keinen nennenswerten kirchlichen Widerstand hervorgerufen. „Meine Landeskirche vermochte es nicht, gegenüber dem Nationalsozialismus ‚Jesus Christus als ihren Herrn – und das alleinige Haupt seiner Gemeinde‘ zu bekennen, wie es schon damals in unserer Kirchenverfassung hieß“, sagte Schad.

Auch Bischof Wiesemann erklärte, dass die katholische Kirche sich „mitschuldig am Krieg“ gemacht habe, so wie es die deutschen Bischöfe in einem gemeinsamen Wort zum 75. Jahrestag des Kriegsendes bekannt hätten. Gegen die massenhafte Vernichtung von Juden und anderen Bevölkerungsgruppen hätten die katholischen Bischöfe kaum oder viel zu zaghaft ihre Stimmen erhoben. Erst der Massenmord an körperlich und geistig behinderten Menschen habe sie dazu veranlasst, ihren Widerspruch offener gegen das Nazi-Regime einzulegen.

Aus dem Versagen der Kirchen müssten die Christen heute lernen, appellierten Schad und Wiesemann. Als „Friedensstifter“ seien sie dazu aufgefordert, sich gegen jede Form von Judenhass, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit zur Wehr zu setzen. Die Opfer des Kriegs mahnten dazu, für den unbedingten Schutz des menschlichen Lebens und für die Menschenwürde einzutreten, sagte Wiesemann.

In der Diskussionen um geeignete Corona-Maßnahmen müsse sorgsam zwischen dem Schutz vor der Krankheit und dem Schutz der Menschenrechte abgewogen werden, sagte Bischof Wiesemann. Die Schutzrechte Einzelner, vor allem der Schwächsten, dürften nicht aus den Augen verloren werden. Kinder hätten ein Recht darauf, gemeinsam zu spielen. Menschen in Pflegeeinrichtungen hätten ein Recht auf zwischenmenschliche Kontakte, und Sterbende bräuchten die Hand eines geliebten Menschen, um in Würde sterben zu können.

Die musikalische Gestaltung übernahmen die Dommusik unter der Leitung von Domkapellmeister Markus Melchiori sowie das Vokalensemble ­„Capella Spirensis“. Ein besonderes Element des ökumenischen Gottesdiensts war ein Zeitzeugenbericht von Professor Winfried Sommer aus Römerberg, der als kleiner Junge das Kriegsende in Speyer miterlebt und die letzten Kriegstage mit Mutter und Bruder in der Krypta des Doms verbracht hat. KB

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