Heuchlerische Kritik an Özil und Gündogan

von Klaus Koch

Klaus Koch

Die großen Sportverbände inszenieren sich gerne. Olympische Spiele und Weltmeisterschaften werden zu großen Festen der Völkerverständigung aufgeblasen, der Deutsche Fußball-Bund (DFB) gibt einen – wenn auch kleinen – Teil seiner Millionen für Kampagnen zu den Themen Fairness, Respekt und Antirassismus aus. Doch die moralische Selbstüberhöhung der Verbände hat ihre Tücken. Immer wieder werden Sportler und Sportfunktionäre von politischen und ökonomischen Zwängen eingeholt, die ihren Moralanspruch ad absurdum führen.

Nun müssen sich Fußball-Bundestrainer Jogi Löw und der DFB vor einer empörten Fangemeinde dafür rechtfertigen, dass Ilkay Gündogan und Mesut Özil bei der Weltmeisterschaft für Deutschland kicken dürfen, obwohl sie sich vom türkischen Präsidenten Erdogan zu Wahlkampfzwecken haben missbrauchen lassen. Es ist keine Frage, dass das Verhalten der beiden Nationalspieler mindestens ungeschickt und politisch dumm war. Doch die beiden türkischstämmigen Profis stehen dabei in einer illustren Reihe mit politisch unsensiblen oder tolpatschigen Vertretern des deutschen Fußballs.

1978 nannte Spielführer Berti Vogts das von einer Militärjunta geknechtete WM-Gastgeberland Argentinien ein Land, in dem Ordnung herrsche. Zu allem Überfluss lud der DFB dazu auch noch den ehemaligen nationalsozialistischen Offizier Hans Ulrich Rudel ins Trainingsquartier der Nationalmannschaft ein. Rudel hatte 1953 die rechtsextreme Deutsche Reichspartei als Spitzenkandidat in den Bundestagswahlkampf geführt.

Auf der anderen Seite der politischen Skala rannte zur gleichen Zeit Bayern-Profi Paul Breitner demonstrativ mit der Mao-Bibel herum. Ebenfalls ein Bayern-Spieler, Mehmet Scholl, gefiel sich mit dem blöden Spruch: Hängt die Grünen, solange es noch Bäume gibt. Franz Beckenbauer, die inzwischen verdunkelte Lichtgestalt des deutschen Fußballs, sagte nach einem Besuch in Katar, er habe auf den Baustellen für die WM 2022 keine Sklaven gesehen. Da war längst bekannt, dass die Arbeiter unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten und es zu Todesfällen gekommen ist.

Die Demutsbekundungen deutscher Sportfunktionäre gegenüber fragwürdigen Gastgeberländern setzen sich munter fort. DFB-Chef Grindel etwa verurteilte es nicht, dass Russland den Sportjournalisten Hajo Seppelt wegen dessen Doping-Berichterstattung nicht zur WM einreisen lassen wollte. Er verwies lediglich auf die Weltfußball-Organisation Fifa. Eine dürftige Verteidigung der Pressefreiheit.

All diese Beispiele zeigen, dass Özil und Gündogan keine Ausnahmen sind und die Kritik an ihnen heuchlerisch ist. Sie sind nur weitere Beispiele dafür, dass der Sport seinen moralischen Anspruch nicht einlösen kann. Dafür hat er sich von der Politik und vor allem von wirtschaftlichen Interessen viel zu abhängig gemacht.

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