Gedenken an das Geschöpf und Ebenbild

von Anke von Legat

Anke von Legat

Das Gedenken an Verstorbene ist ein wichtiger Bestandteil des Menschseins. Nicht zuletzt auch deshalb, weil es die Frage wachhält: Und was passiert, wenn ich sterbe? In Gottesdiensten werden „unbedacht Verstorbene“ benannt, die ohne Angehörige bestattet werden. Und es gibt kirchliche Initiativen, die dafür sorgen, dass an solche Menschen mit Namen und Lebensdaten erinnert wird.

Das Gedenken an Verstorbene ist ein wichtiger Teil unserer Kultur, ja, des Menschseins überhaupt; wo es fehlt, fühlen wir uns unbehaglich. Aber warum ist das so? Für die Toten, so sollte man meinen, spielen Anzeigen, Andachten oder Grabsteine keine Rolle mehr. Warum also empfinden wir es als verletzend, wenn Tote ohne eigenes Grab und Gedenken begraben werden? Warum werden sogar Massengräber in ehemaligen Kriegsgebieten geöffnet, um den namenlosen Toten ihre Identität wiederzugeben? Wozu ein solcher Aufwand?

Da ist zum einen der psychologische Aspekt: Manchmal erfahren Angehörige oder Freunde erst im Nachhinein vom Tod der „unbedacht Verstorbenen“. Dann ist es wichtig, einen Ort zu haben, an dem man die Toten betrauern kann. Zu wissen: Hier liegt der Mensch begraben, der mir etwas bedeutet hat; Blumen niederlegen, Kerzen anzünden, beten – all das sind hilfreiche Rituale, die den Verlust greifbarer machen. Dem Erinnern kommt außerdem eine soziale Funktion zu: Auch Verstorbene haben noch Einfluss. Ohne sie wären Hinterbliebene nicht zu denen geworden, die sie jetzt sind. Ihr Platz im sozialen Gefüge – in der Familie, im Freundeskreis, in der Gemeinde – wird von anderen eingenommen, die ihn ähnlich oder auch ganz anders ausfüllen. Die Feiern anlässlich von Bestattungen erfüllen unter anderem die Funktion, dieses soziale Gefüge neu zu ordnen.

Aber beim Bestatten und Gedenken geht es nicht nur um die Hinterbliebenen. Der jüdische und der christliche Glaube sieht den Menschen als Geschöpf und Ebenbild Gottes, mit einem besonderen Wert und einer besonderen Würde versehen. Diese Ebenbildlichkeit geht mit dem Tod nicht verloren; vielmehr werden die Toten auferweckt und sind aufgehoben in Gottes Ewigkeit. Diese Vorstellung gibt es in beiden Religionen.

Darum gebieten beide Religionen einen würdevollen Umgang mit Verstorbenen als religiöse Pflicht. Schon im Alten Testament ist davon die Rede, dass ein ehrenhaftes Begräbnis allen Toten zusteht, besonders aber den Armen und Schwachen, den Opfern von Krankheit und Krieg. Wer dagegen einem Toten die Bestattung und das ehrenvolle Gedenken verweigert, versündigt sich an Gott selbst, der den Menschen zu seinem Bild geschaffen hat. Und über allem Gedenken, aller Anteilnahme, allen religiösen Geboten und Liebesdiensten steht die Hoffnung des Glaubens: Wir werden auferstehen. Oder, wie Paulus sagt: Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Alles wird gut.

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