Für Syrien ist keine Lösung in Sicht

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

„Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin“ – dieses kreuzdämliche Motto der Friedensbewegung zierte in den 1980er Jahren zahllose Wohnküchen, wurde 1000-fach auf Mauern gepinselt und gesprüht. In Syrien würden viele Menschen dem Krieg nur allzu gerne fernbleiben. Doch es ist eine groteske Vorstellung, man könne sich dem Krieg einfach so entziehen. Sie entspricht auch nicht der Gedankenwelt Bertolt Brechts, dem dieser Satz fälschlich zugeschrieben wird. Brecht sah sich als kämpferischen Revolutionär, nicht als radikalen Pazifisten.

Der Satz stammt von dem US-amerikanischen Schriftsteller Carl Sandburg, aus dessen Gedichtband „The People, Yes“. Der Urheber der später hinzugefügten Fortsetzung „… dann kommt der Krieg zu dir“ ist nicht bekannt. Die Leute von Afrin haben genau das erlebt. Nach sieben Jahren kam der Krieg urplötzlich in die mehrheitlich von Kurden bewohnte Kleinstadt im Nordwesten Syriens. Bis Anfang des Jahres herrschte dort Ruhe, dann marschierte die Türkei ein – angeblich, um die Region von „Terroristen“ zu befreien. Tatsächlich will die Türkei dem Autonomiestreben der syrischen Kurden einen Riegel vorschieben, die mit Unterstützung der USA das syrische Assad-Regime-bekämpfen. Denn die Türkei sorgt sich, dass kurdische Autonomie an der Grenze zur Türkei, wo ebenfalls Kurden leben, nicht haltmachen würde.

Trotz des erbarmungslosen Bürgerkriegs in Syrien gab und gibt es zahllose Regionen im Land, die vom Kriegsgeschehen ganz oder weitgehend unbehelligt bleiben. Das darf aber keinesfalls als Argument dafür herhalten, man könne syrische Kriegsflüchtlinge ruhig in ihr Heimatland abschieben. Krieg ist kein unaufhörliches Sperrfeuer, Krieg ist dynamisch.

Das Inferno kann jederzeit und überall ausbrechen. Afrin ist der grausige Beleg dafür. Alle Kriege haben dieselbe Blaupause. Die Schrecken des Ersten und des Zweiten Weltkriegs sind im kollektiven Gedächtnis der Deutschen unauslöschlich eingebrannt. Doch die 17 Millionen Toten des Ersten Weltkriegs verloren ihr Leben größtenteils außerhalb der Grenzen des Deutschen Reichs. Im Lande selbst herrschte der Alltag, unterbrochen nur durch die sich häufenden Schreckensmeldungen von der Front. Auch die Dynamik des Zweiten Weltkriegs machte um dessen Urheber lange Zeit einen großen Bogen. Das ist in Syrien nicht anders. Ein Markt, auf dem noch Lebensmittel verkauft werden, zieht die Menschen an, obwohl sie wissen, dass im nächsten ­Moment eine Rakete die trügerische Ruhe zerreißen kann.

Aber auf militärischem Wege wird der Krieg in Syrien ohnehin nicht ­beendet werden. Zu viele Interessen sind im Spiel, als dass eine Seite die Oberhand gewinnen könnte. Eine ­politische Lösung ist ebenso wenig in Sicht, solange die Russen Baschar el-Assad stützen und die Amerikaner den Diktator stürzen wollen.

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