Frauen und die katholische Anatomie

von Stefan Mendling

Stefan Mendling

Frauen fehlt etwas – das ist katholische Anatomie: Frauen dürfen nicht Priesterinnen werden. So hat es Papst Paul VI. mit seinen männlichen Kollegen 1976 in der Erklärung „Inter Insigniores“ bekräftigt. Und weil er sich auf seine Unfehlbarkeit beruft, gilt sein Wort bis zur Wiederkunft Chris­ti. Professorinnen und Professoren, Priester, Bischöfe, Kleriker, Laien, Männer und Frauen haben nun über 40 Jahre über „Inter Insigniores“ nachgedacht und erkannt: Die Argumentation von Paul VI., Christus habe bewusst keine Frauen berufen und die Kirche habe es auch zu keiner Zeit getan, ist schlichtweg falsch.

Die Theologie als Wissenschaft, welche nach katholischem Verständnis dem päpstlichen Lehramt zuarbeitet, kann die Position der Kirche hier nicht mehr rechtfertigen. Dass die Frauen deswegen mit ihrer Aktion „Maria 2.0“ um Aufmerksamkeit ringen, trifft in Gesellschaft und Kirche auf breites Verständnis. Es dürfte also nur noch eine Frage der Zeit sein, bis Frauen vollumfänglich in der katholischen Kirche angekommen sind – in allen Positionen bis hin zur Päpstin.

Wer damit rechnet, hat die Rechnung aber ohne die katholische Kirche gemacht: Diese Kirche ist ein Leib, vielleicht sogar der Leib Christi. Als solcher hat er einen Bauch und einen Kopf. Der Kopf hält Kontakt zur Außenwelt und leistet die Denkarbeit. Der Kopf ist die Theologie als Wissenschaft. Der Bauch hingegen ist ein Gewohnheitstier: Er liebt, was er kennt – und reagiert sensibel auf Neues. Damit etwas passiert, muss der Kopf den Bauch überzeugen; denn in der katholischen Kirche entscheidet immer noch der Bauch, also das Lehramt. Der Kopf hat nur dienende Funktion. Er ist, böse gesagt, in vielen Belangen nur zum Schmuck da.

Das könnte sich jetzt tatsächlich ändern! Schaffen es die Frauen, Bauch und Kopf in Einklang zu bringen, lösen sie damit auf einen Schlag die Prob­leme von 500 Jahren. Wird das Verständnis von Weihe und Amt reformiert, fallen auch die entscheidenden Streitpunkte zwischen evangelischer und katholischer Kirche weg. Wird die Alleinherrschaft der Männer in der Kirche beendet, ändern sich alteingefahrene Machtstrukturen; in puncto Umgang mit Missbrauchsfällen und sexueller Gewalt würde das der Kirche nur guttun. Die Kirche gewönne endlich wieder an Glaubwürdigkeit – wenn sie damit anfinge, wieder auf den Kopf zu hören. „Maria 2.0“ würde zur „Reformation 2.0“, die endlich die Probleme löst, die uns davon trennen, wieder der eine Leib Christi zu sein.

Darum sollten die Frauen – und alle, die ihre Forderungen unterstützen – nicht wieder zum Alltag übergehen, sondern weitermachen. Weil ihnen ihre Kirche am Herzen liegt, kritisieren sie die Kirche. Gut so! Denn sie stehen mit der Aktion „Maria 2.0“ zwischen Kopf und Bauch – da, wo das Herz ist – als Brücke zwischen den beiden. Das ist christliche Anatomie.

Meistgelesene Leitartikel & Kommentare