Europa braucht profilierte Parteien

von Klaus Koch

Klaus Koch

Die Große Koalition tut den beteiligten Parteien nicht gut. Seit geraumer Zeit haben CDU/CSU und SPD bei Umfragen keine Mehrheit mehr im Bundestag. Und das ausgerechnet kurz vor der Europawahl, zu der die Wähler erfahrungsgemäß entweder gar nicht erst hingehen oder die regierenden Parteien abstrafen, weil sie vermuten, es ginge um nicht viel bei dieser Wahl. Das, trotz mancher Fehler, grandiose Friedensprojekt Europa läuft also Gefahr, in die Hände von Populisten und Nationalisten zu geraten.

Dabei wäre gerade jetzt ein starkes Europa wichtig. In der Weltpolitik schwinden Verlässlichkeit, Vertragstreue und strategisches Augenmaß zunehmend. Der einzelne europäische Nationalstaat, auch wenn er wirtschaftlich stark erscheint, ist in diesen weltweiten Wirren alleine verloren. Doch da steckt Europa im nächsten Dilemma. Nur starke europafreundliche Regierungen sind in der Lage, die europäische Einheit weiter voranzutreiben. Schwache, ohne Mehrheit im eigenen Land, neigen dazu, kein Risiko einzugehen und den Ergebnissen demoskopischer Umfragen hinterherzulaufen, statt mutige Entscheidungen zu treffen.

Noch besteht Hoffnung. CDU und SPD sind dabei, inhaltlich ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. Die CDU hat gelitten unter der Zerrissenheit in der Flüchtlingspolitik, die SPD an den Auswirkungen der Hartz-IV-Gesetze. Nun versuchen beide, daraus Konsequenzen zu ziehen und ihre Politik neu auszurichten. Beide müssen im gesellschaftlichen Diskurs dabei mit Widerstand rechnen. Aber vielleicht gelingt es ihnen so, neues Profil zu gewinnen und Differenzen sichtbar zu machen. Zwei konkurrierende große ­Parteien, denen beide Europa am Herzen liegt, täte der deutschen Demokratie gut.

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