Eine alte Erfahrung: Im Geben liegt Segen

von Gerd-Matthias Hoeffchen

Gerd-Matthias Hoeffchen

Die Mathematik sagt: Wenn ich etwas teile, werden die Stücke immer kleiner. Menschliche Erfahrung dagegen kennt noch eine weitere Wahrheit: Am Ende reicht es für alle; auch für mich. In den vergangenen Monaten haben die Menschen hierzulande viel geklagt. Sie hatten manchen Grund dafür. Wenn die Sorge vor dem „Morgen“ zu groß wird, dann muss sich das Herz Luft verschaffen.

Manchmal hilft es, die Blickrichtung umzukehren. Man fragt nicht mehr: „Was bleibt am Ende mir?“ Sondern: „Wem kann ich etwas geben?“ Das mag wie ein psychologischer Taschenspielertrick klingen. Aber dahinter steckt eine Erfahrung, die die Menschen immer wieder gemacht haben: Im Geben liegt Segen. Und zwar nicht nur für den anderen. Sondern auch für mich. Um das zu verstehen, hilft ein Blick auf das Wort „teilen“.

Das ist ein schillernder Begriff. „Teile und herrsche“, sagen Herrscher, wenn sie ihre Feinde gegeneinander aufwiegeln. „Ich teile diese Erfahrung mit dir“, sagt man, wenn man auf Gemeinsamkeiten hinweisen will. Und weltweit teilen Menschen Fotos und Texte in den sozialen Netzwerken des Internets – sie verbreiten sie weiter.

Und dann gibt es das Teilen im Sinne von: abgeben, verschenken. Gerade jetzt im Advent, tritt diese Bedeutung besonders hervor. Man gibt den Bedürftigen, um deren Not zu lindern. Man teilt den eigenen Besitz mit anderen. Das ist gut und edelmütig. Aber die Frage, die sich automatisch stellt: Wird dann am Ende noch genug für mich bleiben? Das ist eine vernünftige Frage. Aber auch eine, die oft viel zu viel Gewicht bekommt.

In den Evangelien gibt es die Erzählung von der Speisung der 5000. Obwohl Jesus und seine Leute kaum genügend Lebensmittel für sich selbst haben – fünf Brote und zwei Fische –, geben sie den anderen davon ab. Und: Es reicht für alle. Das mag man naturwissenschaftlich anzweifeln oder als Wunder glauben. Unabhängig davon drückt diese Geschichte ein tiefes Vertrauen aus: Wenn du abgibst, wird es trotzdem auch für dich selbst reichen.

Es ist wie beim Sauerteig Hermann, den wir in den 1980er-Jahren so gerne weiterverschenkt haben: Man gab von ihm ab; aber er wuchs nach. Und auch der verschenkte Teil vermehrte sich. Am Ende hatten alle etwas davon. Und dabei geht es nicht nur ums Geld. Sondern auch um Freundlichkeit. Wärme. Zuhören. Respekt. Lob. Anerkennung: Fast immer vermehren die sich, wenn ich diese Güter teile. Wie Hermann, der Sauerteig.

Aber auch beim Geld trifft das zu. Selbst wenn ich nur fünf Euro geben kann, etwa an „Brot für die Welt“, liegt darauf Segen. Spenden zehn Menschen jeweils fünf Euro, sind das 50 Euro: das Geld für ein Wellblechdach, unter dem eine Familie in Togo Schutz findet. Und man hat das gute Gefühl, etwas Sinnvolles getan zu haben. So bin auch ich beschenkt. Wer das Teilen einübt, wird am Ende feststellen, dass auch er gewinnt.

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