Ein Test als Chance mit Nebenwirkungen

von Florian Riesterer

Florian Riesterer

Die Corona-Ansteckungsrate in Deutschland hat sich laut dem Robert-Koch-Institut verlangsamt. Dennoch sehen die Experten keine Entspannung. Gleichzeitig häufen sich Stimmen, die eine schrittweise Aufhebung des sogenannten „Lockdown“ fordern, vor allem aus der Wirtschaft. Erste Unternehmen wie Galeria Karstadt Kaufhof oder die Restaurantkette Maredo haben Insolvenz angemeldet. Gesundheitsexperten warnen angesichts des „Social Distancing“ und der steigenden Arbeitslosigkeit vor Depressionen und Herzinfarkten. Auch der deutsche Ethikrat mahnt an, über Lösungen nachzudenken.

Doch wie soll dieser Weg aussehen? Erst kleinere Geschäfte öffnen, dann größere wie in Österreich? Die Gefahr, dass die Infektionsrate wieder steigt, ist groß. Impfstoffe liegen noch in weiter Ferne. Hoffnungen ruhen nun auf Antikörpertests. Anders als bei Tests auf Covid zeigen sie nicht, wer erkrankt ist. Dafür verraten sie, ob jemand Antikörper entwickelt hat, die Krankheit also überstanden ist.

Die so immunen Personen können weder angesteckt werden noch selbst andere Menschen anstecken. Hilfreich wäre das im Gesundheitssektor. Ärzte in Rente, die zur Hilfe in Kliniken angefragt werden, bräuchten angesichts knapper Schutzkleidung mit einem positiven Testergebnis auf Immunität nicht mit einem mulmigen Gefühl auf Station gehen. Altenpfleger müssten keine Angst haben, ältere Menschen anzustecken. Und: Da nicht jeder Symptome entwickelt, könnte die Zahl der bereits Genesenen, der Immunen also, deutlich höher sein als derzeit angenommen. Genau diese Zahl braucht es aber, um zu wissen, wann die Pandemie ihren Höhepunkt erreicht hat, dann nämlich, wenn 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung immun sind, sagen Experten.

Erste Pharmafirmen werben bereits mit solchen Tests, allerdings ist ihre Genauigkeit immer noch verbesserungswürdig. Größere Feldversuche in Deutschland laufen. Bis die Kapazitäten dies hergeben, könnten jene „systemrelevanten“ Menschen getestet werden, die für den Schutz der Bevölkerung wichtig sind: Polizisten, Feuerwehrleute, Ärzte, Pfleger. Die Italiener liebäugeln mit dieser Methode, New York ebenfalls. Großbritannien denkt über „immunity passports“ nach.

Das mag nach Brave New World klingen, nach einer Gesellschaft von Immunen und Nicht-Getesteten. Und tatsächlich träfe es zuerst einmal Letztere. Bis zu einem Test wären sie potenzielle Virenüberträger beziehungsweise selbst gefährdet. Gelten für sie andere Ausgangsbeschränkungen – zu ihrem Schutz und dem Schutz anderer? Nach welchen Kriterien wird über die Tests entschieden, auch mit Blick auf die Wirtschaft? In den Antikörpertests liegt eine Chance. Wird dieser Weg beschritten, ist es allerdings notwendig, sie schnell auszudehnen und Kriterien transparent zu machen. Ansonsten könnte die Akzeptanz des „Lockdown“ schwinden.

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