Ein Jahr danach: Spuren des Jubiläums

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

Einen neuen Feiertag in Norddeutschland – weitere Spuren hat das Reformationsjubiläum im vergangenen Jahr nicht hinterlassen. Oder doch? Sie wollten alles richtig machen, Wirkung erzielen, das Wissen um die Bedeutung der Reformation im gesellschaftlichen Bewusstsein verankern. Die Evangelische Kirche in Deutschland beschränkte die Feierlichkeiten daher nicht auf den 31. Oktober 2017, sondern rief davor eine ganze Lutherdekade aus. Zehn Jahre lang sollte sich alles um Martin Luther drehen, der 500 Jahre zuvor der Legende nach 95 Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche schlug und die Kirche aus den Angeln hob.

Die Welt aber drehte sich trotz Lutherdekade weiter. Die fand zwar nicht unter Ausschluss, aber doch ohne größeres Interesse der Öffentlichkeit vornehmlich in innerkirchlichen Kreisen statt. Aus Sicht der theologischen Wissenschaft offenbar zehn vertane Jahre. Der Erlanger Theologieprofessor Anselm Schubert jedenfalls zieht eine ernüchternde Bilanz: Seiner Ansicht nach gingen die theologischen Forschungserträge der Lutherdekade „gegen null“. Die Feierlichkeiten seien „ein von Kirche und Politik gewollter Hype“ gewesen.

Wenn es denn wenigstens ein Hype gewesen wäre! Ein wenig Trubel hätte die „Weltausstellung Reformation“ am Tatort gerne über sich ergehen lassen. Doch in dem Themenpark rund um die Wittenberger Altstadt konnte das Begleitpersonal die Besucher meist mit Handschlag begrüßen. Die Gesellschaft scheint nach der Jubelfeier schnell wieder zur Tagesordnung übergegangen zu sein. Themen wie sexueller Missbrauch haben ihre Sensibilität gegenüber kirchlichen Anliegen über konfessionelle Grenzen hinweg auch nicht unbedingt verstärkt.

Auch die Kirche selbst ist wieder dort angelangt, wo sie vor dem Jubiläum stand. Sie verliert Mitglieder – langsam, aber kontinuierlich. In naher Zukunft schon wird die Wirtschaftskraft das nicht mehr auffangen können, ihre Einnahmen werden empfindlich zurückgehen. Das wird die Kirche und ihre Stellung in Staat und Gesellschaft verändern, stärker als ihr lieb sein kann.

Das ganze Bohei um Martin Luther und die Reformation hat daran nichts geändert. Über den Tag des Jubiläums hinaus wird dennoch zweierlei zurückbleiben. Die evangelische Kirche hat sich so intensiv wie nie mit den Lehren ihres Urvaters auseinandergesetzt – und mit seinen Irrlehren. Die Kirche schob das nicht auf den Zeitgeist, sondern bekannte sich zu dieser dunklen Seite ihrer Vergangenheit. Zweitens hat auch die katholische Kirche das Reformationsjubiläum für sich entdeckt. Sie guckte nicht beleidigt zu, sondern erkannte Luthers Lehren auch für sich selbst als wichtig. Das Verdikt des deutschen Papstes Benedikt XVI., die Kirchen der Reformation seien keine „Kirchen im eigentlichen Sinn“, ist überwunden. Schon dafür hat sich die Feierei gelohnt.

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