Die Türkei und das absurde Europa

von Klaus Koch

Klaus Koch

Es war eine schöne Hoffnung: Die Türkei als demokratischer Staat mit einer überwiegend muslimischen Bevölkerung nähert sich dem vereinten Europa immer weiter an. Soziale, wirtschaftliche und rechtliche Standards gleichen sich an, bis die Türkei zum Beitritt bereit ist. Dann, so die Hoffnung, kann das Land ausstrahlen in andere muslimische Länder und als ein gutes Beispiel dafür ­dienen, dass der Islam demokratiefähig ist und dass muslimisch und christlich geprägte Gesellschaften in einer Wertegemeinschaft zusammenleben können.

Die Wahlen in der Türkei haben diese Hoffnung bis auf Weiteres zunichtegemacht. Staatschef Erdogan hat die Türken durch ­autoritäres Gehabe und den Krieg gegen die Kurden zutiefst verunsichert. Sie suchten Halt beim starken Mann. Dabei hatte Erdogans AKP die Türkei zunächst auf einen guten Weg gebracht. Mit grundlegenden Reformen bereitete sie den Weg nach Europa vor, und Erdogan selbst führte Friedensgespräche mit den Kurden. Doch Politiker in Europa, nicht zuletzt Bundeskanzlerin Merkel, zeigten immer wieder, dass sie dennoch keinen Platz für die Türkei in der europäischen Wertegemeinschaft sehen.

Das rächt sich jetzt. Die Türkei ist zwar politisch weit entfernt von dem, was Europa ausmachen sollte. Doch das Land wird trotzdem hofiert. Denn in der Flüchtlingspolitik spielt es eine zentrale Rolle und wird sich seine Hilfe von Europa teuer bezahlen lassen: mit Schweigen bei Menschenrechtsverletzungen, mit Finanzhilfen, mit Visa-Erleichterungen und möglicherweise mit Beitrittsverhandlungen. Eine Türkei, die auf einem schlechten Weg ist, wird mehr erhalten als die Türkei, die auf einem guten Weg war. So absurd ist derzeit europäische Politik.

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