Die sechs Gebote zur Freizeitgestaltung

von Brigitte Vordermayer

Brigitte Vordermayer

Endlich Urlaub! Zeit, das Wetter zu genießen, die Arbeit zu vergessen und Kraft zu tanken? Von wegen. Denn wer in der Freizeit bloß entspannt, bei dem geht’s womöglich schnell bergab mit der Karriere. Das zumindest behauptet die sogenannte „Karriere­bibel“. Und veröffentlicht sechs Tipps für eine Freizeitgestaltung, die beruflich erfolgreich macht.

Lesen, am besten Fachliteratur, mit der sich im Job glänzen lässt, lautet der erste Rat. „Networking Events“ besuchen, um vielversprechende Karrierekontakte zu knüpfen. Drittens: Sport ist gut für die berufliche Disziplin. Viertens ist Weiterbilden angesagt, etwa durchs Erlernen einer neuen Sprache. Abendschulen und Wochenendkurse bieten jede Menge Möglichkeiten, das in der Freizeit umzusetzen. Karrieretipp Nummer fünf: nach Feierabend schon mal die nächsten beruflichen Schritte, Projekte und Strategien planen und durchdenken.

Erst der letzte Rat lautet: Freizeit ist auch dazu da, zu tun, was einem Spaß macht. Grillen, Fußballspielen und Musikhören sind tatsächlich erlaubt. Aber nur, weil sie sich laut Karriere­bibel für den Job instrumentalisieren lassen. Denn als Stressabbauer sollen sie dafür sorgen, dass der Mensch „langfristig motiviert“ bleibt und ­„gute Leistungen abliefern“ kann.

Das Problem ist nicht, dass sich Freizeit und Arbeit nicht auch mal überschneiden dürfen. „Work-Life-Blending“ heißt dieses Verschwimmen neudeutsch und entspricht in vielen Bereichen längst der Realität. Und richtig ausbalanciert kann das durchaus Vorteile für alle bringen.

Das Problem sind auch nicht die empfohlenen Freizeitgestaltungen selbst. Viele Menschen gehen gern zum Sport, lesen etwas über ein Thema, das sie auch beruflich interessiert. Sie knüpfen neue Kontakte oder lernen als Hobby eine Sprache. Entscheidend aber ist, warum sie das tun. Nämlich, weil sie Lust darauf haben. Zweckfrei, ohne Hintergedanken und Druck. Und nicht, wie der Text es rät, weil sie ihre Freizeit missbrauchen, um die Karriere zu optimieren oder sich für die Arbeit zu erholen.

Denn wenn Menschen selbst in ihrer Freizeit nicht mehr frei sind, den „Funktionier-Modus“ abzuschalten und sich treiben zu lassen, macht sie das vielleicht kurzfristig beruflich erfolgreich, aber bestimmt nicht dauerhaft glücklich. Und im schlechtesten Fall sogar krank. Arbeit und Karriere können erfüllend sein. Aber immer häufiger vergessen die Menschen heute, dass es noch etwas anderes gibt. Dass es eben nicht darum geht, zu leben, um zu arbeiten.

Viel nötiger als Tipps, wie sich Freizeit der Arbeit unterordnen lässt, wäre eine andere Hilfestellung: nämlich Unterstützung dabei, wie man sein Berufsleben so gestaltet, dass Raum bleibt für ein erfüllendes Privatleben – samt Freunden, Familie und einem glücklichen und gesunden Selbst. ­Solche Tipps hätten es dann auch ­verdient, in einer Bibel zu stehen.

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