Die Menschlichkeit stirbt im Mittelmeer

von Hartmut Metzger

Hartmut Metzger

Wenn es nicht so schrecklich wäre, könnte man den „Kampf gegen die Schlepper“ mit dem sprichwörtlichen „Kampf gegen die Windmühlen“ vergleichen. Die tragikomische Romanvorlage des spanischen Autors Miguel de Cervantes über seinen Don Quijote stammt aus dem frühen 17. Jahrhundert, das Massensterben im Mittelmeer ist leider aktuell. Beiden gemeinsam ist, dass sie den Untergang von Epochen bezeugen: Cervantes’ ­Roman die Vergangenheit der Ritterschaft, das Massensterben im Mittelmeer das Ende des Bollwerks Europa, das alles, was gefällt, besitzt, und alles was missfällt, abwehrt.

Diese Zeiten sind vorbei – und mit ihnen eine Flüchtlingspolitik, die keine legalen Wege der Flucht anerkennen will. Eine solche Politik zwingt Flüchtlinge in die Illegalität, macht die Schlepperei zu einer Goldgrube und bestraft die Überlebenden. Es gibt Mittelmeerländer, die ihre Flüchtlinge nicht registrieren, weil sie dann auf ihnen sitzen bleiben: Gemäß den Dubliner Beschlüssen muss ein Flüchtling in jenem Land Asyl suchen, das er zuerst betritt. Eine völlig unsinnige Regelung, die nur eines verlässlich beschreibt: den misslichen Zustand der EU.

Wenn es die EU nicht schafft, sich über einen halbwegs gerechten Verteilungsschlüssel für die Asylsuchenden in ihren Ländern zu einigen, ist sie das Papier nicht wert, auf dem ihre Grundordnung geschrieben ist. Grenzsicherung ist keine Asylpolitik – nicht für politisch Verfolgte und nicht für von Krieg, ­von Vertreibung und von Unterdrückung Bedrohte. 170 000 Menschen sind im vergangenen Jahr über das Mittelmeer geflohen. Wissen wir ­eigentlich wirklich, wie viele Menschen ­zwischen Afrika und Europa auf ihrer Flucht schon ertrunken sind? Die Menschlichkeit stirbt im Mittelmeer.

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