Die Kunst muss geschützt werden

von Klaus Koch

Klaus Koch

Im besten Falle macht Kunst verborgene Strukturen und tief liegende Befindlich­keiten einer Gesellschaft deutlich. Der vier ­Meter hohen, vergoldeten Erdogan-Statue auf dem Platz der Deutschen Einheit in Wiesbaden ist das gelungen. Der Betrachter musste sich zunächst darüber klar werden, ob das Objekt verherrlichend oder ironisch gemeint ist. Dann konnte er sich dazu verhalten. Gegner und Anhänger des türkischen Autokraten haben das ausgiebig getan. Die Veranstalter des Kulturfestivals Wiesbaden Biennale ­haben es geschafft: Im öffentlichen Raum wurden Menschen erreicht, die ansonsten wohl wenig mit Kunst im Sinn haben.

Doch die Aktion war bald vorbei. Die Stadtverwaltung ließ das Kunstwerk von der ­Feuerwehr abbauen. Wegen des umstrittenen Charakters des Erdogan-Monuments seien zu viele Polizeikräfte nötig, um Ruhe und ­Ordnung aufrechtzuerhalten, hieß es zur ­Begründung. Das ist unsäglich. Die Kunstfreiheit ist ein von der Verfassung geschütztes Recht. Sie darf nicht auf Anweisung ­einiger Bürokraten eingeschränkt werden. Wenn das Schule macht, sind als Nächstes Versammlungs- und Meinungsfreiheit dran, weil es für Demonstrationen und Kund­gebungen nicht genügend Polizisten gibt.

Mit der Kunst kann man’s ja machen, ­werden sich die Entscheidungsträger gedacht haben. Kann man aber nicht. Kunst ist kein Zeitvertreib für kleine Eliten nach Feierabend. Kunst ist ein Lebensnerv einer freien Gesellschaft. Sie provoziert eingefahrenes Denken und Sehen. Sie lotet Grenzen und Stimmungen aus, sie ist ein Seismograf für gesellschaftliche Entwicklungen, vor ­allem für Fehlentwicklungen. Wer sich ­umschaut im Land, merkt schnell, wie ­notwendig das alles in diesen Tagen ist.

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