Die katholische Kirche hat nicht mehr viel Zeit

von Klaus Koch

Klaus Koch

Nein, schnell geht es für gewöhnlich nicht in der römisch-katholischen Kirche. Viele Jahrhunderte alte Strukturen und Traditionen verbinden sich im Vatikan mit Geheimnistuerei, unkontrollierter Macht und Intrigen. So dauerte es immerhin 350 Jahre, bis der Vatikan zugab, dass sich die Erde um die Sonne dreht, und 1992 den einstigen Ketzer Galileo Galileo rehabilitierte. Noch einmal so viel Zeit, um sein Weltbild zu ändern, hat der Heilige Stuhl in Rom nicht.

Derzeit schwankt der vatikanische Machtapparat angesichts des 1000-fachen weltweiten Missbrauchs zwischen Reue, Reformeifer, Hilflosigkeit und Ignoranz. Der Papst selbst ist dafür das beste Beispiel. Einmal sieht er beim Missbrauch den Teufel am Werk und fordert harte Maßnahmen, ein andermal relativiert er die priesterlichen Untaten als allgemeines, überall vorkommendes Menschheitsübel. Das erzürnt die Opfer natürlich. Aber vielleicht hat Franziskus zumindest in diesem Punkt sogar Recht. Allgemeines Menschheitsübel besagt nicht mehr, als dass kriminelle Priester und die vertuschenden Bischöfe und Kardinäle schlicht Menschen sind. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Weihe einem Menschen nicht mehr Heiligkeit verleiht als jedem anderen Geschöpf Gottes – der Missbrauchsskandal hat ihn erbracht.

Was für den aufgeklärten modernen Menschen klar ist, rührt bei der katholischen Kirche an die Grundfeste: das Amtsverständnis. Wenn Priester, Bischöfe und Päpste nicht anders sind als normale Gläubige, geraten die Fundamente ins Rutschen. Denn ist ein Priester nur ein examinierter Facharbeiter in Glaubensfragen, wird vieles fragwürdig. Warum soll er seinem Bischof oder dem Papst dann bedingungslos gehorsam sein? Warum soll er nicht heiraten und Kinder haben dürfen? Oder freiwillig zölibatär leben, was dieser Lebensform wieder mehr Respekt und Würde verleihen könnte. Und, Frage aller Fragen, warum sollen dann nicht Frauen geweiht werden?

Es sind diese Fragen, die die katholische Kirche womöglich mehr verunsichern als die sexuelle Gewaltkriminalität. Eine Kirche, die einerseits zerknirscht Missbrauch zugibt, andererseits aber einen geschiedenen Chefarzt entlässt, weil er wieder geheiratet hat, hat im gesellschaftlichen Diskurs in westlichen Demokratien schlechte Karten. Deshalb können die europäischen Bischöfe nicht warten, bis die Weltkirche ernst zu nehmende Reformen beschließt. Sie müssen auf mehr Eigenständigkeit und Eigenverantwortung drängen.

Dafür müsste ein Konzil her, das die Vorherrschaft Roms zugunsten nationaler Kirchen einschränkt und so ein weltweit unterschiedliches Reformtempo möglich macht. Das würde den Heiligen Vater allerdings die ­Unfehlbarkeit kosten und eine Entwicklung einleiten, die zum konsti­tutionellen Papsttum führt.

Meistgelesene Leitartikel & Kommentare