Begegnungen sind die Chance der Kirchentage

von Renate Haller

Renate Haller

Manche Freundschaften entstehen ganz unverhofft. So geschehen bei der Auftaktveranstaltung zur Podienreihe Migration beim Stuttgarter Kirchentag. „Ankommende zu Mitbürgern machen“, „Deutschkurse vom ersten Tag an“, „Wer hier Fuß fasst, soll nicht abgeschoben werden“ – diese Statements zu Flüchtlingen stammen nicht von den üblichen Verdächtigen aus Menschenrechtsorganisationen oder Kirchen, sondern von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller. Dass die CSU damit plötzlich seine Positionen vertritt, freute Karl Kopp, Europareferent von Pro Asyl. Weshalb die beiden – zumindest für diesen Moment – als Freunde das Podium verließen.

Doch machen wir uns nichts vor. Es war eine Diskussion beim Kirchen- und nicht im Bundestag. Wer weiß, welche Meinung der Minister in Sachen Deutschkurse vertritt, wenn es nicht gelingt, Solidarität zwischen den EU-Staaten herzustellen. Diese wird allseits gefordert, damit die Flüchtlinge innerhalb Europas besser verteilt werden können.

Hoffnung auf eine liberale Flüchtlingspolitik mit legalen Einreisemöglichkeiten nach Europa machte aber auch Innenminister Thomas de Maizière. Er hatte vor einigen Monaten den Kirchen vorgeworfen, sich mit dem Kirchenasyl über das Recht zu stellen. Dieser Streit scheint beigelegt. Während des Kirchentags ließ sich de Maizière sogar zu dem Bekenntnis hinreißen: „Ich bin auch dafür, dass mehr legale Übertrittsmöglichkeiten nach Europa geschaffen werden.“ Das sichtlich überraschte Publikum reagierte mit rauschendem Applaus.

Als ein „Motivationstraining für alle, die nicht an den großen Problemen der Zeit vorbeisehen wollen“, hatte Bundespräsident Joachim Gauck den Kirchentag bei der Eröffnung bezeichnet. Damit hat er recht. Wer Müller oder de Maizière zugehört hat, muss das Gefühl haben: Beharrliches Eintreten für eine Sache lohnt sich – so wie es viele Kirchengemeinden in der Flüchtlingsarbeit tun.

Eine erstaunliche Annäherung gab es auch zwischen Kirchentag und dem pietistisch geprägten Christustreffen. Nachdem beide seit 1969 ­getrennte Wege gegangen waren, fand das Treffen der konservativen Christen nun während des Kirchentags statt. Es stand unter dem Motto „Dein Wort macht uns klug“. Damit haben pikanterweise gerade die bibeltreuen Pietisten den Wortlaut der Heiligen Schrift verändert.

Erfreulich war, dass wieder viele junge Menschen den Weg zum Kirchentag gefunden haben. Fast 40 Prozent der Besucher waren jünger als 30 Jahre. Angesichts des ständig beklagten Niedergangs der christlichen Kirchen eine beachtliche Zahl. „Die Begegnungen mit Flüchtlingen verändern mich“, hat Minister Müller in der eingangs erwähnten Diskussion gesagt. Wenn ihn und andere Politiker auch die Begegnungen auf den Kirchentagen verändern, dann ist das ein sehr gutes Argument für weitere Treffen.

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