Architektonisches Tschingderassabum

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

Ein längst beseitigtes Relikt von Preußens Glanz und Gloria soll wieder auferstehen: die Potsdamer Garnisonkirche. Bisher ging es lediglich um deren Turm – zur Wiederherstellung des historischen Stadtpanoramas. Jetzt verdoppelt der Bund nicht nur seinen Turmzuschuss auf 20 Millionen Euro, sondern macht auch noch eine Dreiviertelmillion für eine Machbarkeitsstudie zur Rekonstruktion des gesamten Kirchbaus locker.

Mit dem Turmbau zu Potsdam könnte man sich zur Not ja noch ebenso abfinden wie mit dem sinnfreien Wiederaufbau des – kulturhistorisch bedeutenderen – Berliner Stadtschlosses. Die barocke Garnisonkirche ist allerdings nicht nur mit der Hypothek von Militarismus und Imperialismus Preußens belastet, sondern auch ein Schauplatz der Machtergreifung Adolf Hitlers. 1933 fand dort der Festakt zur konstituierenden Sitzung des Reichstags statt, dessen Sitz kurz zuvor ausgebrannt war.

Den inszenierten Handschlag von Reichspräsident Paul von Hindenburg und Reichskanzler Adolf Hitler schlachteten die Nazis propagandistisch als „Tag von Potsdam“ aus. Die Wiederherstellung einer solchen Kultstätte, die im Krieg beschädigt und von der DDR später gesprengt worden war, hat den neuen Nazis noch gefehlt.

Die Protagonisten eines Wiederaufbaus um den Berliner Altbischof Wolfgang Huber sind frei von jedem Verdacht, dem Vorschub leisten zu wollen. Der frühere EKD-Ratsvorsitzende und seine Mitstreiter nennen vielmehr als Ziel, einen Ort der Friedens- und Versöhnungsarbeit schaffen zu wollen. Als Erklärung, warum es dafür eines architektonischen Zitats der unseligen Vergangenheit bedarf, reicht der Verweis auf das beschädigte Potsdamer Stadtbild jedoch nicht aus.

Der Zweite Weltkrieg hat in den deutschen Städten Wunden geschlagen und hässliche Narben hinterlassen, die bis heute sichtbar sind. Sie sichtbar zu lassen, ist auch ein Bekenntnis zur Geschichte. Viele Städte ergriffen die Chance, winklige und dunkle Gassen durch großzügigen modernen Städtebau voller Licht, Luft und Weite zu ersetzen. Nicht nur in der DDR wurden – aus ideologischen Gründen – bauliche Relikte der feudalen Vergangenheit eliminiert. Noch bis in die 1970er Jahre hinein vollendeten auch in der Bundesrepublik Bagger, was Bomben versäumt hatten.

Das hat den Städten nicht nur gutgetan. Geglückte Rekonstruktionen wie die der Dresdener Frauenkirche sind Ausnahmen. Ähnliche Korrekturen können als Versuch verstanden werden, vier Jahrzehnte Geschichte der DDR zu leugnen. Ein überzeugendes Gegenbeispiel ist an der Bernauer Straße in Berlin zu sehen. Dort hatte die DDR 1985 die Versöhnungskirche gesprengt, die genau auf dem Mauerstreifen stand. Heute lädt dort eine schlichte Holzrotunde zum Gedenken und zum Gottesdienst ein – ohne architektonisches Tschingderassabum. So etwas täte auch Potsdam gut.

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