Und größer als alle menschliche Vernunft

von Anke von Legat

Anke von Legat

Der Mensch möchte verstehen. Das Ordnen seiner Welt in erdachten Systemen hilft ihm, sich sicherer durchs Leben zu bewegen – aus Sicht der Evolutionsbiologen ist das ein Vorteil beim Überleben seiner Art. Das mag ein Grund dafür sein, dass Menschen auch immer wieder versucht haben, Gott mit den Mitteln des Verstands zu erklären und zu beweisen. Ohne Erfolg, wie man offen zugeben muss.

Dabei bemühten sich Theologen und Philosophen schon in frühen Jahrhunderten, in denen die Menschen die Existenz eines oder mehrerer Götter für selbstverständlich hielten, um einen rationalen Beweis. Für den Philosophen Aristoteles wie auch für die Theologen Anselm von Canterbury oder Thomas von Aquin war die logische Beschäftigung mit der Existenz Gottes gleichbedeutend mit einer höheren Stufe des Glaubens: Gott lässt sich mit menschlicher Vernunft erkennen. Davon war man überzeugt.

Kritik an dieser Überzeugung gab es jedoch ebenfalls, und heute finden sich kaum noch Theologen, die Gott für beweisbar halten. Der Glaube an die menschliche Vernunft ist durch die Entdeckung des Unbewussten erschüttert worden. Auch dem moralischen Urteil oder dem Gewissen trauen wir nach den Schrecken des 20. Jahrhunderts nicht mehr allzu viel zu. Und die Hirnforschung lässt uns zunehmend daran zweifeln, dass wir wirklich wissen, was wir wissen. Unsere Gedanken sind nie voraussetzungslos. Wir sind fest eingebunden in ein System aus sinnlicher Wahrnehmung und gedanklicher Verknüpfung, auf das wir keinen Einfluss haben und über das wir nicht hinauskönnen.

Daraus folgt, dass wir auch Gott nur innerhalb unserer menschlichen Systeme denken können. Selbst wenn wir sagen: Er ist mehr als …, größer als …, gütiger als …, können wir nicht anders, als unsere menschlichen Kategorien anzuwenden. Damit aber lässt Gott sich nicht erfassen. Aber ist das so schlimm? Verlieren wir etwas dadurch, dass wir ihn nicht beweisen können? Oder umgekehrt gefragt: Wird Gott wirklicher dadurch, dass wir ihn mit Mitteln des Verstands erfassen und ihn in ein logisches System zwängen? Die Antwort kann nur heißen: Nein. Seine Größe und Allmacht bestehen ja gerade darin, dass er die Grenzen unseres Denkens sprengt und alles übersteigt, was wir uns vorstellen können. Seine Liebe aber besteht darin, dass er sich uns Menschen zuwendet und sich so zeigt, dass wir ihn trotzdem erkennen können.

Diesen Widerspruch müssen wir aushalten, wenn wir Gott denken. Dabei haben die Bemühungen des Verstands durchaus ihren Wert – wie auch die des Herzens. Die Vernunft hilft uns, zu forschen und zu fragen, was wir wissen können und was nicht. Das Herz macht uns sensibel für Gottes Spuren und für die Not des Nächsten. Beides zusammen nährt das Vertrauen, dass wir gehalten sind und geliebt von einem Gott, der größer ist als all unsere menschliche Vernunft.

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