Luther fordert die Christen heraus

von Hartmut Metzger

Hartmut Metzger

Das ökumenische Gemeindezentrum im Frankenthaler Stadtteil Pilgerpfad ist ein Glücksfall für das Bistum Speyer und für die Evangelische Kirche der Pfalz. Zum einen erinnert es an die Jahre des Aufbruchs nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965), als evangelische und katholische Gemeinden gelegentlich auch gemeinsam das Abendmahl feierten. Zum anderen lässt es erkennen, wie unterschiedlich sich das ökumenische Verhältnis seit den 1970er Jahren gestaltet hat – in Plus und Minus. Leider ist das Gemeindezentrum ein ökumenisches Kleinod geblieben: quicklebendig im urbanen Umfeld, aber bis heute einzigartig zwischen Rhein und Saar.

Als Bischof Wiesemann und Kirchenpräsident Schad nun aus Anlass seines 40-jährigen Bestehens im Gemeindezentrum predigten, wurde spürbar, dass in Speyer die Ökumene noch immer links und rechts der Straße liegt. Auch Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben diese räumliche Nähe beider Kirchenleitungen nicht verrückt – obwohl ihre Pontifikate deutliche Bremsspuren in der Ökumene hinterließen. Wenn zwei das Gleiche tun, können sie meist etwas bewegen. Gelingt das auch Bischof Wiesemann und Kirchenpräsident Schad? Sie verstehen sich sichtbar gut.

Der Kirchenpräsident wird nicht müde, das Reformationsjubiläum als „Motor für eine neu aufbrechende Ökumene“ zu bezeichnen, mit Paulus und Luther „Christus allein ins Zentrum“ zu rücken und der Sehnsucht nach der vollen Einheit und der Gemeinschaft am Tisch des Herrn Ausdruck zu verleihen. Der Bischof nennt das Jubiläum, das 2017 erstmals als „ökumenisches Christusfest“ gefeiert wird, ein Wunder und betont „das Ziel der sichtbaren Einheit in versöhnter Unterschiedlichkeit und in der bereichernden Vielfältigkeit der unterschiedlichen Gaben“.

Wer von beiden hat nun den schwierigeren Part? Während der Kirchenpräsident 500 Jahre nach Luthers Thesenanschlag in protestantischen Freiheit reden kann, formuliert der Bischof im Rahmen der rechtlichen Vorgaben seiner römisch-katholischen Weltkirche, in der die Pfalz leider nur ein sehr kleiner Flecken ist. Während der Bischof dabei aber bis an die Grenzen gehen kann, setzt sich der Kirchenpräsident selbstredend der freien Kritik seiner Mit-Protestanten aus.

Weshalb wird das große Reformationsjubiläum als ein „ökumenisches Christusfest“ begangen? Kann man 500 Jahre Reformation und zugleich die Ökumene feiern? Muss dann nicht eins von beiden auf der Strecke bleiben: die positive Würdigung der Verdienste Martin Luthers oder das gemeinsame Bekenntnis zu einer schuldbeladenen Kirchentrennung? Und all diese Fragen vor der wohl unbestreitbaren Tatsache, dass die Zukunft der Kirche nur ökumenisch sein kann. Noch 500 Jahre nach seinem Thesenanschlag in Wittenberg fordert Luther die Christen gewaltig heraus.

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