Die Demokratie und die politische Bildung

von Nils Sandrisser

Nils Sandrisser

Die Demokratie ist krank. Das Fieber steigt. Erhitzte Gemüter brüllen die Bundeskanzlerin als „Volksverräterin“ an und glauben der „Lügenpresse“ sowieso nichts mehr. Die Krise der Demokratie, die man schon lange an der sinkenden Wahlbeteiligung ablesen kann, zeigt sich nun auf der Straße. Doch Staat und Gesellschaft fällt dazu bislang wenig ein.

Es sind nicht mehr die üblichen verdächtigen Rechts- und Linksradikalen, die an den Rändern der Demokratie nagen. Vor allem von rechts haben sich Verschwörungstheoretiker und Fremdenfeinde in die Mitte der Gesellschaft gefressen. Einige Menschen erreicht man mit politischer Bildung. Andere nicht. Der Göttinger Politikwissenschaftler Michael Lühmann glaubt, wir müssten uns wohl damit abfinden, dass es Menschen gibt, „die man nicht erreicht und die auch nicht erreicht werden wollen“.

Demokratie heißt auch, das Anderssein von Menschen zu tolerieren. Viele können das nicht. Sie können Menschen nur dann als Menschen anerkennen, wenn sie ihnen ähneln – wenn sie Probleme so lösen, wie sie selbst es tun würden oder wenn sie dieselben Gebräuche pflegen wie sie. Wie Narziss aus der griechischen Sage müssen sie ständig ihr Spiegelbild betrachten, in das sie sich verliebt haben. Wer andere politische oder religiöse Auffassungen oder eine andere Hautfarbe hat, erregt ihren Hass.

Wobei die meisten, die mit der Akzeptanz ihre Probleme haben, deswegen noch keine Anti-Demokraten sind. Für Menschen eines gewissen Milieus trifft es sicher zu, dass sie eher ein Fall für die Psychotherapie als für die politische Bildung sind. Aber das dürfte die Krankheit der Demokratie nicht heilen, denn es erklärt sie nicht. Nur etwa ein Prozent der Bevölkerung sind als Narzissten diagnostiziert. Aber Umfragen decken schon seit Jahren ein demokratiefeindliches Potenzial auf, das sich zwischen zehn und 15 Prozent bewegt.

Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung betont, dass Wahlbeteiligung und Schichtenzugehörigkeit stark zusammenhängen. Wer über wenig Einkommen und kaum Bildung verfügt, lässt sich nur selten an der Urne blicken. Das heißt, dass die Krise der Demokratie vor allem eine soziale Krise ist und damit Folge einer Politik, die jahrzehntelang zugesehen hat, wie Arm und Reich auseinanderdriften, und dies mit einem ungerechten Bildungssystem zementiert hat.

Es droht ein Teufelskreis. Unterprivilegierte beteiligen sich nicht mehr an der Demokratie, weil sie glauben, sie könnten nichts ändern. Damit fehlen im politischen Betrieb ihre Vertreter, die zur Verbesserung ihrer Lage beitragen. Dadurch bessert sich die Lage der Menschen der unteren Gesellschaftsschichten nicht. Wenn die Bundesregierung die Schere zwischen Arm und Reich so weit auseinanderklaffen lässt und die Bildungschancen so ungleich verteilt, kann sie sich Programme zur politischen Bildung schenken.

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